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teratur, das Volkslied, die Volkssage, das alte Volksbuch, kam unmittelbar aus dem Volke hervor, es war ein Prvduct seines natürlich-sittlichen Daseins, es war sein unmittelbarer Theil, es war sein Herzblnt. In der Production dieser alten Volksliteratur trat kein besonderer Zweck, keine Bildungö-, keine Belehrnngs-, keine Erhe- bnngsabsicht hervor, sie war ein natürliches Bedürfniß des Volksgeistes. Anders ist es nnn gänzlich, wie man sieht, mit unserer modernen Volksliteratur. Sie ist nicht ein Product des Volkes selber, sondern! sie bildet sich in Kreisen, welche in jeder Beziehung über der großen Menge stehen. Die alte Volksliteratur strebte aus dem Volke empor, die neuere strebt zu ihm hinunter. Die erstere war mit dem Volke dnrch ihre Unmittelbarkeit verbunden, die zweite durch die Reflexion, durch die Fortbewegung und Verallgemeinerung des modernen Culturgedankens. Da die moderne Volksliteratur die Absicht der Volksbildung und der Erhebung desselben haben muß, so hat sie es natürlich nirgends zu der Naivetät der alten Volksliteratur bringen können nnd sie erkennt sich selber und ihren modernen Zweck, wenn sie mit einer affectirten Nachahmung dieser alten, unmöglichen Naivetät, welche sich nur bildet, wo die Reflexion noch keine selbstständige Macht geworden ist, spielt. Sie kann es, anstatt zur saftigen, kräftigen Naivetät eines unmittelbaren Volksgeistes, dann höchstens zur Sentimentalität und zur Coqnetterie mit dem Derben nnd dem Naiven bringen. —
Treten wir übrigens sogleich in das Gebiet unserer modernen Volksliteratur, so gehen immer deutlicher zwei große Hauptrichtungen derselben auseinander. Die eine Seite schildert das Volk, die andere schreibt unmittelbar für das Volk. Die erste Richtung ist eine Reaction gegen eine überreizte, zum großen Theil inhaltslos gewordene Roman- und Novellenliteratur. Sie bemüht sich, die gebildeten Stände auf einen nationalen Mittelpunkt, in die von flacher Aufklärung, ästhetisch-sveculativer Ueberspannung und egoistischer Lebens- praris verschütteten Stollen des volksthümlichen Lebens zurückzuführen. Jedenfalls ein verdienstliches Bemühen. Der Leser wird durch diese Schriften mit ganz anderem Interesse für das Volk erfüllt, als ihm sonstige Geschichten zu bieten pflegen. Mit andern Augen soll er das Volksleben ansehen, die Hieroglyphenschrift der Eigenthümlichkeiten des Volkslebens soll sich ihm zn einem Verständnisse der Leiden, Frenden, Ansichten und Wünsche des Volkes eröffnen. Manches, was er früher kaum beachtet, oder was ihm lächerlich erschien, soll er