Speculative Romantik
Novellette au; einem Neisetagebuch.
Odenhayn am 7. Juni.
So ist denn das Langersehnte endlich geschehen, ein Abenteuer würzt mir das Vergnügen der Reise und mein Tagebuch ist nicht mehr ein langer Speisezettel, oder eine genau berechnete Post- und Reisekarte!
Es war gestern Abend nach 10 Uhr, der Mond stand klar am Himmel und warf seine vollen Strahlen hinab in den kleinen See zu meinen Füßen. Ich lag am Fenster und genoß des schönen Abends und der lieblichen Gegend. Am jenseitigen Ufer des schmalen Wassers erhebt sich schroff aus dem Spiegel des Sees eine glatte Felswand, mäßig breit und in das Land hinein sich absenkend, rechts und links von Buschwerk bewachsen und gekrönt mit einem alten Gebäude, dessen wunderliche, geschmacklose Bauart auf ein Alter von 2 bis 300 Jahren schließen läßt. Dies Alles schreibe ich jedoch erst bei Hellem Tageslicht, gestern im Mondenschein sah ich ein altergraues, festes Schloß mit Thürmen und Zinnen, Wällen und Zugbrücken. Die magische Beleuchtung des Sees und seine Umgebungen gefiel mir so wohl, daß ich bereits eine halbe Stunde am Fenster gelegen und mit mancherlei Phantasiegestalten das Bild vor mir belebt hatte, als mich plötzlich der Klang eines Waldhorns aus meinen Träumereien erweckte. Der tiefe, schwermüthig dahin schwimmende Ton des Instruments berührte so sanft mein Gehör, daß ich mir einbildete, das kräuselnde Wasser zu meinen Füßen hüpfe nach der süßen Melodie. Lange suchte ich vergebens nach dem späten Tonkünstler, bis ich endlich wenig Schritte vor der erwähnten Felswand einen kleinen Nachen entdeckte, in dessen Hmtertheil ein breitschultriger, kräftiger Mann saß, der, unverwandt
Grc„zb»te». III. 18--". 19