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Tagebuch
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Ich komme von dieser Manifestation unserer Journalistik auf das Gerücht von der Einführung der Gewcrbesreiheit in Oesterreich. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß vor einiger Zeit die Zeitungen melde­ten: in Schärding, einem österreichischen Dorfe an der bäurischen Grenze, sei unter allgemeinem Volksjubel die Gewerbefrcihcit verkündet worden. Das war nun zwar ein Irrthum, aber doch nur ein halber. Daß bei uns die Negierung schon langst die Verhaltnisse der Handwerkerklassc in Betracht gezogen und gewisse Veränderungen vorzunehmen Willens war, konnte Jeder bemerken, der nur irgendwie etwas aufmerksam den Gang unserer Verhandlungen beobachtet hat. Oesterreich, das in höchst seltenen Fällen, vorzüglich in solchen, wo weitcrgreifendc Privatinteressen gefährdet werden können, mit einer vollen Maßregel entschieden heraustritt, hat die Einführung der Gcwerbefreihcil, als einen nothwendigen Theil des Aufschwunges der Industrie, bereits seit mehrern Jahren der Art vorbe­reitet, daß immer nach und nach im Stillen, ohne großes Patent und viel Verkündigung, mehrere Gewerbe nacheinander frei gegeben wurden. Man wollte wieder versuchen, sehen, wie sich die Sache anlaßt. So ist es gekommen, daß die Regierung bis jetzt an 52 Gewerbe frei gegeben hat, deren größere Anzahl das jungletzte Decrel entHall, welches hier zwar schon dem Magistrate zugeschickt, aber von diesem noch nicht publicict wurde. Die Publication soll am 15. oder 30. d. M. stattfinden und zwar in der Art, wie es bereits im Küstenlande der Fall gewesen, wäh­rend man die frühern Gewerbbefreiungen blos den Magistraten und be­treffenden Zünften zur Kenntnißnahme zuschickte. Auch jetzt sind die Zünfte nicht aufgehoben, indem es noch immer Jedem freisteht, sich an die betreffenden Gilde anzuschließen. Den Kenner hiesiger Zustände wird es aber wohl wenig überraschen, wenn er hört, daß bereits vor Publi- cirung des Patentes sich einzelne Corporationen wegen Abwehrung der Gewerbefreiheit an den Erzherzog Ludwig wendeten; der Erfolg ist leicht vorauszusehen, da sie keine andern Gründe als Privatrücksichten, die doch vorzüglich bei einem so wichtigen Gesetze immer weichen müssen, vorbrin­gen konnten. Die wenigen Gewerbe, welche jetzt noch unter der Polizei­behörde geblieben, werden es wohl für spater auch bleiben, da hier meist Sanitatsrücksichten vorwalten, ihre Zahl ist aber so gering, daß man im Allgemeinen die Gewerbefreiheit als eingeführt ansehen kann. Von wel­chem unberechenbaren Einflüsse auf Oesterreichs industrielle und mercan- tilische Thätigkeit die Gewerbefreiheit sein wird, laßt sich im ersten Au­genblick weniger bestimmen, um so mehr, als das betreffende Patent nicht in allen Provinzen zugleich veröffentlicht werden soll; den nächstliegend­sten Einfluß wird es aber wohl auf die bestehenden städtischen Institu­tionen, hinsichtlich der Erlangung der Bürgerrechte und dergleichen, haben. Jedenfalls ist damit wieder ein schöner Schritt vorwärts im Vaterland« geschehen und ein um so wichtigerer, als im Hintergrunde auch noch so manche nothwendige Modisication des Zollwesens liegt. Auch hier ist es wieder traurig, daß die Regierung so schwankend, so unentschlossen auf­tritt, erst experimentirend, wodurch natürlich den Gegnern der Muth wachsen muß. Wäre das Patent auf einmal und in der ganzen Monar-