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Briefchen, die ich fast alltäglich während meines Aufenthaltes in Weimar erhielt, mit Vcrhaltungsbefehlen, strengen Verweise», lieben Einladungen u. s. w. Aber Sie thun ihr Unrecht, wenn Sie glauben, sie könne nur Büchlein für Kinder schreiben. Gott bewahre, sie soll auch manchen sehr schönen Roman, und manche sehr interessante Novelle noch geschrieben habcn, als da ist - „das Stiftsfräulein, oder der Criminalrath". Auch „das Buch für Kammerjungfern" ist von ihr; da ich aber nie die Absicht hatte, eine gute Kammerjungfer zu werden, so habe ich auch dieses Buch, wie die meisten ihrer Werke, nicht gelesen, und kann Ihnen daher kein bestimmtes Urtheil abgeben. Doch denke ich mir, daß gewiß Alles von Amalia Winter mit Geist und herzlichem Wohlwollen geschrieben sein mag, denn beides besitzt sie, wenn sie es auch manchmal auf bizarre Art offenbart. Sie heißt eigentlich Amalia von Groß, und ist eine arge Aristokratin, obwohl sie sich es selbst nicht eingesteht, was sie aber, so oft sie liberal sein will, aufs Augenscheinlichste darthut. Sie ist eine Frau von mittlern Jahren, der man noch eine schöne Vergangenheit ansieht; zumal ihr blaues Auge erzählt viel davon. Feine aristokratische Manieren, freie, ungezwungene Bewegung, etwas unmerkliche Verstellung verrathen die Dame vom Hofe, die sie auch mit Leib und Seele ist. Besonders am Erbprinzen von Weimar, der wirklich liebenswürdig, und wie alle Erbprinzen, freisinnig ist, hängt sie mit außerordentlicher Liebe. Von ihm spricht sie am liebsten; ihn schildert sie am liebsten, wenn sie in ihren Büchern einen jungen Helden oder einen idealen Fm> sten braucht.
— Das gefällt mir von der Frau.
— Ach ja, ich weiß es; Sie sind leider Gottes auch so eine starre Royaliftin, wie es die meisten Frauen sind, vorzüglich der Prinzen wegen. Amalia Winter wird auch sehr oft von ihrem Prinzen besucht. Da fährt plötzlich an der hintern Gartenmauer ein Wagen vor, das Gartenpförtlcin thut sich auf, und herein tritt ein schlanker, schöner, junger Mann mit einem blitzenden Stern auf der Brust. Eine schöne Scene sür ein Stück, oder eine Operette aus den achtziger Jahren. Damals wäre das rührend gewesen; heute findet man eö obwohl schön, doch auch ganz natürlich, daß sich auch ein Prinz mit einer geistreichen Frau unterhalten will. Aber eben so schön ist es von meiner verehrten Freun-