461
langte die wachsende Körperkraft zu üben, den Strom zu durchschneiden mit seinen Armen, die Gipfel der Bäume zu erklimmen, und auszutoben in tüchtiger Uebung den Drang nach Bewegung, den er in sich fühlte. Davon aber wollte der Maestro Nichts wissen. Die kleinste Verletzung eines Fingers, die kein Anderer beachtet hätte, wurde für Giovanni gefürchtet, weil sie ihn abhalten konnte, sich hören zu lassen, und der Maestro betrachtete ihn wie ein Capital, das er ängstlich hütete, um damit zu wuchern. Auch die ernsteren Studien, die Giovanni machen wollte und so oft er nur Anleitung fand, wirklich machte, waren dem Maestro nicht lieb. Sie hielten Giovanni von den Klavierübungen zurück und entwickelten den Verstand auf Kosten der Phantasie, die der Maestro mit zu den Eigenschaften zählte, aus denen er den größten Vortheil zog. Geschickt wandte er deshalb Alles an, diese gefährliche Göttergabe zu nähren und zu erhalten und nur zu bald hatte er, durch seine Erzählungen, die Sinne des Knaben erregt und die Unschuld seines Geistes zerstört.
Je länger dieses Treiben dauerte, je mehr Giovanni heranwuchs, je qualvoller schien ihm das Leben, das er führen mußte. Er war es müde, von jedem Neugierigen die Wunderlyra auf seiner Brust betrachten zu lassen; er erinnerte sich deutlich des Abends, an dem man ihn von seiner Mutter fortgerissen, er glaubte zu wissen, daß man ihm damals die Lyra auf die Brust geätzt, denn er erinnerte sich, daß er sie einst als etwas Fremdes an sich betrachtet hatte. Aber von seiner Mutter sollte er nicht sprechen, und schweigen mußte er zu dem Betrug, den der Maestro mit der angeborenen Kunstweihe der Kinder verübte. Er liebte die Kunst; doch die Weise, in der er sie ausüben mußte, war ihm verhaßt. Kaum sechszehn Jahre alt, hatte er halb Europa durchreist uud kannte doch Nichts von der Welt, als die Zimmer einiger Kunstliebhaber, die Conzert- säle und die Theater, in denen er gespielt.
Oft sehnte er sich in das Leben hinaus und in die kältere Heimath, wenn sein junges Blut wild durch die Adern zu rollen begann und der Maestro ihn an die kleine Cornelia erinnerte, die ihn einst in ihre Arme geschlossen. Wie eine HimmelserHeinung hatte sie damals in sein Leben geleuchtet und die erste unverstandene Liebesahnung in der poetischen Seele des jungen Künstlers geweckt. Zu