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Schiller's Weltanschauung : Festrede, gehalten bei der Schillerfeier in Leipzig, am 11. November 1844.
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Du wähnst, von außen die himmlische Gottheit zu vernehmen." Keine Weihe offenbart sie.

Was kein Ohr vernahm, was die Augen nicht sahn, Es ist dennoch, das Schöne und Wahre, Es ist nicht draußen, da sucht es der Thor, Es ist in Dir, Du bringst es selber hervor.

Der Einfalt des kindlich reinen Gemüths ist die innere Stimme verständlich: auch der sinnende Weise, der in dem stilleren Selbst den schassenden Geist behorcht, vernimmt sie noch, und wie sein Genius verspricht: was die hoffende Seele verheißt, hält gewiß die Natur. Doch nicht auf den Wogen des rauschenden Wassers, sondern auf der stillen Fläche des kleinen Baches schwimmt klar und ungetrübt das Himmelsgewölbe. Gegenüber dem harten Sinn, der ungestümen Kraft, der zermalmenden Gewalt des Mannes preist daher der Dich­ter mit hohem Lobe die Frauen, die treuen Töchter der frommen Natur, die wachsam das ewige Feuer schöner Gefühle nähren. Und nun verstehen wir jene so oft falsch gedeuteten Worte, die eram Antritt des neuen Jahrhunderts" sprach:

In des Herzens heilig stille Räume Mußt Du fliehen aus des Lebens Drang. Freiheit ist nur in dem Reich der Träume, Und das Schöne blüht nur im Gesang.

Ja, nur so viel erreicht der Mensch, als tn ihm liegt. Seine Vollendung ist nur eine Selbstentfaltung. Die Kunst leitet ihn sanft hin zur Wahrheit, noch ehe der alternde Verstand die Pforten der Erkenntniß öffnet. Der Sänger, der ahndend das Ewige em­pfindet, beherrscht das bewegte Herz, taucht es in Schrecken und hebt es himmelwärts, und wo er weilt, darf nichts Gemeines nahen. Und >wo der Genius bildend auf dein Lichtpfade der Schönheit einher­schreitet, rauscht es von Leben und Lust.

Aus dieser durchgebildeten Lebensansicht sproßen zwei unvergäng­liche Blumen hervor. Die eine ist die Zuversicht, daß der eignen Neigung und Liebe die Tugendübung entstamme, die andere heißt Freiheit. Fridolin ist vor dem Feuertode bewahrt geblieben, weil er in Andacht sich so lange verweilte, bis sein tückischer Feind in's Verderben gestürzt war: aber nicht, weil es ihm die Herrin befahl, betrat er die Kirche, sondern weil ihn, ausdrücklich bemerkt