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Tagebuch.
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was bekanntlich sehr fetten geschieht. Das Volk von Berlin ist viel­mehr ein sehr fleißiger und häuslicher Schlag Menschen, der überall zu finden, nur nicht auf Straßen und Promenaden, weshalb auch ein Fremder, besonders wenn er unsere regelmäßige, stille, aber schöne und königliche Friedrichsstadt betritt, selten glauben will, daß inner­halb der Mauern von Berlin nahe an viermalhunderttausend Men­schen (mit Einschluß des Militärs und der Fremden) sich befinden. Also in dieser Woche war das Volk wieder einmal aus den Straßen zu sehen, und zwar bei der Rückkehr der Königin nach Berlin wir sagen nicht des Königs, denn Se. Majestät hatte bereits vierzehn Tage vorher die Mauern seiner Residenz wieder berührt, wollte jedoch den ihm von den Bürgern nach dem Attentate vom 26. Juli berei­teten Empfang nicht annehmen, ohne ihn mit der Königin zu theilen, welche auch die Gefahr jenes Tages getheilt hatte. Das Volk benutzt nun solche Anlasse, um sich selbst einmal zu betrachten; andere Be­trachtungen kommen freilich nicht dabei vor. Der König und die Königin zeigten sich ihm vom Balkon des Schlosses herab, und das Volk, dessen gemeinsames Gefühl immer ein sittliches ist und dem daher der Mordanfall auf das Königspaar einen sehr natürlichen Ab­scheu einflößte, begrüßt die von der Hand des Himmels Beschützten mit Jubel, ohne jedoch und das möchten wir verbürgen jene sentimentalen Betrachtungen anzustellen, die ihm der bekannte deco- rative und phrasenreiche Correspondent der Leipziger Allgemeinen Zei­tung unterschob. Welches Gefühl von rechtlicher Gleichheit übrigens im Berliner Volke lebt, beweist nachstehende Anekdote, für deren Wahrheit ich einstehen kann und die dasselbe von dem Volke anderer großen Städte Deutschlands, namentlich Prags, Breslaus -c., gewiß zu seiner Ehre unterscheidet. Der Magistrat und die Stadtverordne­ten hatten nämlich einen großen Zug vom Kölnischen Nathhause nach dem Schlosse veranstaltet. An der Spitze des Zuges befand sich, von Marschällen geleitet, die gesammte Geistlichkeit Berlins: zuerst die evangelische, dann die französtsch-reformirte und alsdann die katholische, immer paarweise; hinter den katholischen Kaplänen gingen zum ersten Male bei solcher Gelegenheit auch zwei Rabbiner, als Vertreter der jüdischen Gemeinde, worauf dann erst die Gymnastaldirectoren, der Oberbürgermeister, die Stadtrathe und die Stadtverordneten folgten. Das Volk, als es die Männer mit den schwarztuchenen Talaren und breiten runden Hüten kommen sah, rief sich zuerst etwas verwundert zu:Die Juden! seht, die Juden!" Aber bald daraufhörte man auch von vielen Seiten:Das ist ganz recht! Gleichheit muß sein! sehr schön!" Und als demnächst eine Deputation der gesammten Geistlich­keit, denen des Magistrates und der Stadtverordneten sich anschließend, zum König hinaufgeschickt wurde, erschienen mehrere Stadtverordnete

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