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chen ein höchst aufmerksames Publicum, welches manche polemische Stelle mit den lebhaftesten Zeichen des Beifalls aufnahm. Eben so wenig scrupulös zeigt man sich bei der Aufführung des „Faust", indem hier manche Verse gesprochen werden dürfen, die auf den meisten übrigen Theatern verpönt sind. Die Luft kommt bei uns zuweilen wohl aus der Campagna di Noma; aber die Luft Sibiriens wenigstens dringt nicht bis nach München.
Freilich, ein als classisch anerkanntes älteres Drama gilt überall als kecomnli, jedes neue eines jetzt lebenden Autors als unvollendete Thatsache, gegen welches man auf der Hut ist, um es, wie ich vor mehreren Jahren selbst an einem unverfänglichen Drama erleben mußte, nöthigenfalls noch zwischen Probe und Aufführung unterdrücken zu können. Auch über der bereits durch einen Komödienzettel angekündigten Aufführung des beziehungs- und anspielungsreichen „Moritz von Sachsen" von Prutz scheint ein eigenes Ver- hängniß zu walten; die Aufführung unterblieb wegen plötzlicher Unpäßlichkeit der Mad. Dahn. Wochen sind darüber vergangen, Mad. Dahn ist wieder aufgetreten; aber von einer Aufführung deö Trauerspiels hat man Nichts weiter gehört.
Mir ist nicht bange um die deutsche Einheit, so weit sie durch die deutschen Theater gefördert wird. In Dresden führt man „Zopf und Schwert" auf, untersagt aber die Aufführung des „Patkul"; in Berlin führt man den „Patkul" auf, untersagt aber die Aufführung von „Zopf und Schwert"; man schreibe ein Stück, worin ein Altvorderer des ersten Bürgermeisters von Hamlburg auftritt, und es wird überall aufgeführt, in Hamlburg aber verboten werden.
Diese Erwähnung des Theaters führt mich wie von selbst auf die Münchner Literatur, die ich in dem nächsten Kapitel stizziren will.