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Tagebuch.
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aber nicht erst zu versichern, daß die Münchener Unruhen durchaus keine politische Bedeutung haben; man weiß, es kann sich in einer baierischen Revolution weder um Konstitution und Preßfreiheit, noch um protestantische Kniebeugung und Anbetung des bekannten Oelbil- des, oder um den zu vier Jahren Festung verurrheitten Redenbacher, noch um andere theoretische Grillen handeln: es handelt sich lediglich um Bier. Das sogenannte Bock- oder Salvatorbier, das im Frühjahr getrunken wird, soll von unvergleichlich aufregender Kraft sein und bringt stets unangenehme Reibungen zwischen Militär und Bürgerlichen hervor. Dazu kam in der heurigen Bocksaison eine Ver- theuerung des Bieres, um zwei Pfennige das Seidel. So griff denn das Volk zu den Waffen und wollte mehrere Brauereien stürmen. Die Kuirassiere rückten aus und nach einigen Stunden war die Emeute, gedampft. Blos Ein Menschenleben siel als Opfer; beinahe wie in Athen, wo der Kampf um die Verfassung zwei Menschen kostete. Ein Unterschied ist aber auch dabei: die Griechen erlangten wirklich die Constitution, für welche sie sich erhoben; ob die Münchner den Sturz der Zweipfennigtyrannei erlangt haben, wissen wir nicht. Das Publicum soll sich aber nun im Katzenjammer seiner schlechten Aufführung schämen und bemühte sich, wie ein Korrespondent der Deutschen Allgemeinen andeutet, durch die loyale Begeisterung und den enthusiastischen Jubel, mit dem es im Theater die höchsten Herr­schaften empfing, gut zu machen, was es verschuldet hat!

In St. Petersburg soll man über den allgemein überhand­nehmenden Russenhaß eben so erstaunt, als empört sein. Auf die Liebe des deutschen Volkes glaubt Rußland besonders große Ansprüche zu haben, da es sich fortwahrend mit nur zu aufopfernder Zärtlichkeit um unser politisches Heil und unsere nationale Zukunft bekümmert. Undank ist der Welt Lohn! Rußland war von jeher um die Existenz und Freiheit all seiner Nachbarn besorgt und überall, bei Türken, Polen, Tschcrkcssen, Ungarn, Schweden, Dänen und Deutschen hat es Nichts als Haß geerntet. Diese bittere Erfahrung dürfte noch einst schlimme Folgen haben. Rußland ist groß und uncivilisirt ge­nug, um sich blos'mit seinen eigenen Angelegenheiten zu beschäftigen. Es könnte der Tag kommen, wo es sich von der undankbaren Welt ganz zurückzieht, seine diplomatischen Verbindungen mit unseren Höfen abbricht, wo es selbst Polen aussperrt und die Grenze Europas vom Ural weiter nach Westen verlegt. Dann blieben wir unserem Schick­sal überlassen und würden manchmal ausrufen:

Wer soll künftig unsere Kleinen lehren,

Mores haben und die Fürsten ehren?

Wenn kein Rußland mehr uns Noten schreibt! Hunderte von deutschen Herzen, denen die Sterne Rußlands theuer