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Wien und Berlin : Parallelen.
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richtig, aber innerlich, in Geist und Sitte, in Stamm und Sprache ist das deutsche Volk viel einiger als das französische. Die meisten Touristen lernen Frankreich nur in Paris kennen; dort allerdings ist der französische Geist centralisirt; aber die Provinzen! Besuchet doch die Bretagne und reiset dann nach der Provence, lernt doch den baskischen Bauer kennen und seht Euch den elsässischeu an ; Ihr wer­det Euch dann oft nach der tricoloren Fahne, die von dem Hause des Maireö weht, umschauen müssen, um uicht zu vergessen, daß diese verschiedenen Völkerschaften Eine Nation bilden.

Solche schroffe Charakterverschiedenheiten sind in Deutschland nicht aufzufinden. Auf der Lüneburger Haide und im Böhmerwald, auf den steicrmärkischcn Gebirgen und an den Küsten von Pommern werden sich die Dialekte wohl scharf von einander unterscheiden; eine solche Scheidungslinie jedoch wie zwischen dein Nord-- und Südfranzosen, ist auf den Gefilden Deutschlands nirgends gezogen. Darum mögen auch die charakteristischen Unterschiede zwischen den deutschen Städten weniger leicht zu fassen sein, weniger markirt und in die Augen sprin^ gcnd hervortreten, wie zwischen Toulouse und Straßburg oder zwi^ schen Edinburg und Dublin.

Die höhere Gesellschaft hat ohnehin in dem größten Theil Eu­ropas ein und dasselbe Gesicht, eine und dieselbe Fratze. Da, wo man Frack und Glacehandschuhe tragt, da ist Alles geebnet, da gibt eS, wie auf der Eisenbahn, keine Berge und Thäler mehr; dem Touristen bleibt höchstens zu berichten, daß man da in weicheren Wagen sitzt und dort schneller oder langsamer fährt. Nur in den unteren Classen, nur dort, wo die Civilisation noch nicht ihre Hände in Alles gemischt hat, gibt es noch Naturschauspiele und mannigfache Abwechselung zu bewundern. In einem Lande aber, wo das Volk so wenig Einfluß hat auf das öffentliche Leben wie in den deutschen Städten und Staaten, da sind die Studien desselben für den Leser welliger pikant, für den Tagesschriftsteller, der nach dem augen­blicklichen Erfolge hascht, weiliger lohnend, und die deutsche Reiselite- ratur bewegt sich daher lieber auf fremden Gebieten als auf einhei­mischen.

Was von Volksleben in Wien und Berlin zu schildern ist, hat im Einzelneil mailchen geschickteil Darsteller gefunden; aber gegen