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Musikalische Charakteristiken: Karl Maria von Weber.
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fertiget sah man Uebersctzungen des Freischützen an's Licht treten. DieS war die erste Nachricht, die man in Europa von der Eristenz einer deut­schen National-Oper bekam; denn Mozart galt beinahe für einen Italiener. Als mau gesehen hatte, wie Deutschland sich dem Reiz der italienischen Melodicen und der französischen komischen Oper hingab, um den Partituren von jenseits der Alpen und des Rheines einen augenblicklichen Vorzug vor den einheimischen Musikprodulten einzuräumen, da war man voreilig genug, hieraus zu folgern, daß die Dramaturgie überhaupt ein Gegenstand sei, der in Deutschland nur äußerst selten bedeutende Resultate hervorgebracht habe und es nie zu einem populären Erfolg bringen dürfte. Die Ursachen sür eine außerordentliche Fruchtbarkeit bestehen freilich dort nicht in eben dem Maaße, wie in Frankreich oder gar in Italien. Die Deutschen, welche alles ihrem analytischen Geiste unterwerfen wollen, nnd, um zu genießen, des Naisonnements bedürfen, fordern vom Texte einer Oper, daß er irgend ein Interesse darbiete; da nun die Verfasser der Opernterte ans den Erlös der Vorstellung keinen Anspruch zu machen haben, so findet man natürlich wenig Leute dazu geneigt, um ganz unnützcrweisc ein Talent zu vergeuden, das ihnen anderwärts so vorteilhaft wuchert. Hat andererseits ein Musiker sich dazu verstanden, seine Arbeit an einen Tcrt zu wagen, welcher das Probestück eines Neulings ist, oder Jemandes, der nichts dabei zu verlieren bat, so bringt er fast immer einen, von der Menge unschätzbaren Kunst­system ein Opfer. Ucberdicß darf man es fast allen deutschen Componisten zum Vorwurf machen, daß sie ganz ohne Rücksicht auf die besondern Stim­men ihre Musik niederschreiben, und dadurch die Aussicht auf einen guten Erfolg bedeutend einschränken. Erwägt man demnach alle Hindernisse, welche der deutschen Oper ans ihrem vaterländischen Boden im Wege stehen, so muß man über die Menge der Partituren erstaunen, welche jene Hinder­nisse besiegt haben. Es gibt deren in der That viele, die sehr geschätzt sind, und solche, die sich auf den Nepertorien aller deutschen Schaubühnen in Con- currcnz mit den Erzengnissen der verschiedenen italienischen Schulen, und zumal mit der sranzösischcn komischen Oper zu behaupten gewußt. Die Deutschen vernachlässigen sie keineswegs, nur äußern sie für fremde Opern jenes eifrige Streben, das von den Umständen herrührt, die sich in allen Ländern zu Gunsten von Erzeugnissen eines ausländischen Bodens kundthun, indem man zu befürchten scheint, man möchte sie nicht immer in seinem Bereiche haben. Der Freischütz erregte den deutschen Kunstsinn von neuem für ihre lyrische Nationalbühnc, und bedeutete ganz Europa, wie wir bereits gesagt, daß die dramatische Tonkunst in Mozart's Vaterland nicht ausgcstorbcn sei.

Herr Castil-Blase, der noch neulich mehre Rossinische Opern übersetzt