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stellt werden; denn wer etwa einen geistvollen Roman geschrieben hat, ge) meßt bei weitem keine so zweifellose Anerkennung, wie Uhland oder Frci- ligrath. So war es schon vor sechszig Jahren, als man Glcim mit An a- trcon, Geßner mit Thcokrit, die Karschin mit Sappho verglich und nunmehr ihren Ruhm für Aeoncn gesichert glaubte. Gegen diese Vergötterung trat am schärfsten Herder auf, und sprach damals die denkwürdigen Worte: „Warum will man der lebenden Welt das Urtheil verbieten, da die Nachwelt desto schärfer richten wird?// Von den Zeitgenossen wurde er angefeindet, heutzutage erscheint er gerechtfertigt. Wir fürchten, daß in Einzelheiten unsere Nachkommen ein ähnliches Gericht halten werden; so z. B. ist in vielen Gedichten des mit Recht gerühmten Änastasius Grün ein sehr nachläßiger Versbau und eine Geschwätzigkeit der Neflerion, die demselben keine lange Dauer verspricht. Die Halleschen Jahrbücher sind in Beziehung auf Nückert allerdings zu weit gegangen; doch muß man in dieser, wie in den meisten Beziehungen ihren Muth und jene Energie rühmen, welche unserer Literatur vieles Heil bringen können. Bei der neuen Auswahl von Nückcrts Gedichteu hat sich gezeigt, wie das größere Publikum über ihn denkt; denn wenn auch seine Poesie sich nicht leicht cmf's hohe Meer wagt, wenn auch aus seinen Jugendgedichtcn, die völlig ohne Stnrm und Drang sind, leicht zn crmessen steht, daß er vorzugsweise ein Sprachgenie ist, das seine Production vou der Nachahmung ausgeht, so weht doch überall ein milder Hauch der Weisheit, der Versöhnung, was frommen (nicht bigotten) Gemüthern und Frauen besonders zusagt.
Es bleibt uns noch die Ueberzeugung auszusprcchen, daß unsere stolze, volltönige Tcudenzpoefic uicht so lange leben wird, als die einfachen, in Gehalt lind Melodie innerlich vollendeten Gemüthsklänge, die wir z. B. in der von Lenau, um Einen statt Vieler zu neunen, zerstreut finden.