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Lneordaire.
»Und wenn die Welt voll Tcnsel wär' Und wollt' nns gar verschlingen, So fürchten wir uns nicht so sehr; Es soll uns doch gelingen."
— 46. Psalm. —
Oft schon und vielfach ist die Frage aufgeworfen worden, ob es auch wahr sei, daß der Mangel an religiösem Sinn, an welchem unsere Zeit, nach der Behauptung unserer Glaubensloserer, leidet, wirklich darin seinen Grund habe, daß die Lebren der Religion im Widersprüche stehen mit den Ideen und geistige» Bestrebungen, welche unsere Zeit hervorgerufen. Wahre Kenner des menschlichen Herzens haben mit einem vielstimmigen Nein diese Frage beantwortet, und um die That dem Worte anzuschmiegen, sieht man von allen Seiten die manigfachsten Bemühungen das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trcnuen, und es dem Geiste der Neuzeit anzupassen, fest überzeugt, daß uur die äußere Form und die althergebrachte Auffassungs- weise der moderuen Richtung widerstrebe. Gerade weil jenes Wesentliche eil, ewig Wahres uud Unvergängliches, ist seine Wirksamkeit nicht an eine bestimmte Form gcbimdcn; sein ewiger, alles überlebender Geist kann in dem Körper einer jeden Zeit wohnen. Und seien wir auch gegen unsere Gegenwart nicht gar zu ungerecht. Kann die mittelalterliche Lehre in ihrer Naivität und Unbefangenheit in der steifen Form, wie sie noch in den meisten Predigten entgegentritt, auf die zum Theil abgespannten, zum Theil allzu aufgeregten Gemüther unserer Epoche jenen Eindruck machen, den sie früher hervorbrachte?
Die deutschen Protestanten haben einige Männer gefunden, die nach den: obenerwähnten Sinne wirkten, und die innern Beziehungen zwischen Glaube uud Welt zu entwickeln strebten, namentlich Schleiermacher, Tho- luk :c. Kathvsischcrseits sind Görres und der wiener Domkirchpredigcr Veit zwei Männer, .die in Schrift und Wort bedeutende und große Wirkungen auf ihre Kreise geübt und noch üben. Doch haben die Einflüsse aller dieser Männer nicht die augenblicklichen Erfolge, welche der Abb«; Lacordaire auf seine Kreise in Frankreich übt. Wenn gleich vom wissenschaftlichen Standpunkte sein Wirken viel oberflächlicher erscheint, so ist es dagegen prakti-
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