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Die Tragödie Dantes.
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Die Tragödie Dantes.

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jenes Gefühl beängstigenden Zaubers erklärt, das in uns stets der furchtbare Name Dante erweckt. Befragen wir also den transcendenten Menschen in ihm, den Gläubigen und den Denker, um, wenn es möglich ist, das Rätsel eines Schicksals zu lösen, das uns stets vor allen andern pathetisch erscheinen wird.

In dem Gläubigen und Denker Dante hat Witte die Tragödie erblickt. Zwar die Rechtgläubigst diesesSohnes der Kirche" hat er nicht geleugnet. Wie wäre dies auch möglich, da ihn die Kirche selbst trotz seines beispiellosen Frei­mutes gegen einzelne Päpste, trotz seiner andauernden Verherrlichung der Helden des Altertums und besonders Vcrgils, denen er in seiner edeln Toleranz auch einstige völlige Erlösung in Aussicht stellte, als den katholischsten Dichter hat anerkennen müssen. Und verglichen mit den Werkm Miltons und Klopstocks ist die Inspiration Dantes, und zwar nach dem Geständnis der Protestanten selbst, universeller nnd vollkommener gewesen, eben weil sie katholisch war, weil sie nicht bloß die Verdammung und die Gnade, sondern auch noch das Verdienst, die Werke, das Fegefeuer umfassen konnte. Also an der Rechtgläubigkeit Dantes hat man nicht gezweifelt, wohl aber, ob er immer so gewesen und ob nicht in irgendeinem Zeitpunkte vor der Abfassung der heiligen Dichtung sein religiöser Glaube Augenblicke der Verdunklung und des Schwankens gehabt habe. Dagegen nun lassen sich eine Menge Einwürfe erheben. Zunächst spricht die Chronologie dagegen, denn der Convito, jene philosophische Encyklopädie, welche der Ausdruck des Dcmteschen Skeptizismus sein soll, wurde frühestens 1308, somit sehr lange nach der wunderbaren Vision des Jubiläumsjahres (1300) geschrieben, lange nachdem Dante den Plan der Dichtung gefaßt und sogar schon einen großen Teil derselben ausgeführt hatte. Aber abgesehen davon, war doch dem Mittelalter der durchaus moderne Gegensatz von Vernunft und Glauben ganz fremd: wenn es sich der Vernunft bediente, so geschah es nicht, um die Offenbarung zu widerlegen, ja nicht einmal, um sie zu kontroliren, sondern einzig und allein, um sieins rechte Licht zu setzen." Wenn die Scholastik des Mittelalters dem Rationalismus den Weg bahnte, so erkennen wir das heutzutage wohl, aber sie selbst that es ohne Vorwissen und sehr un­freiwillig. Zwischen den Zweifeln des Mittelalters, die sich nur auf die Möglichkeit der Erkenntnis der Offenbarung, aber nicht auf sie selbst bezogen, und dem Zweifel, dem großen absoluten Zweifel unsrer Zeit, ist ein Abgrund, genau so tief und so klaffend, wie der zwischen dem orsäo auig. avsuräum des Kirchenvaters und dem oo^ito sr^o suiu des Cartesius. Dante hat ihn nie gekannt. Es ist ganz unmöglich, auch nur einen klaren und deutlichen Text anzuführen, der eine Epoche religiösen Abfalls und Schwankens bei ihm bezeugen könnte. Vielmehr spricht das intimste Zeugnis, welches Dante von seinem Wesen abgiebt, jene leidenschaftlichen Ergüsse in der göttlichen Komödie, wo er an Persönliches durch das Geschaute erinnert wird, dafür, daß er gar kein Ver­ständnis für solche faustische Gestalten hatte. Wie er den Skeptizismus auffaßt,