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Literatur.
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Literatur.

erschien 1354 von dem Verfasser eine größere Dichtung (Stuttgart und Augsburg, I. G. Cottaschcr Verlag), welcher der vorliegende Auszug entnommen ist." Aber der ursprünglich epische Faden, auf dem diese Lieder zunächst aneinandergereiht waren, ist bei diesemAuszug" keineswegs aufgegeben worden. Sie haben die nicht allzu glückliche Form beibehalten, nicht direkt der Ausdruck der lyrischen Individualität Beckers, sondern den verschieduen Situationen der hypothesirten Gestalt Jungfriedels angepaßt zu sein; auch einzelne reine epische Stücke, welche der ursprünglichen Handlung der Dichtung angehörten, behielt der Herausgeber bei, die er dcmu durch kurze Andeutungen des Sachverhaltes erklären mußte; im ganzen Zusammenhange der aufeinanderfolgenden Gedichte läßt sich, was wohl beabsichtigt ist, die Entwicklung des idealen Spielmcmns von der naiven Lebens­freude durch allerlei Erfahrungen an Mädchen und Männern zu klösterlicher Weltcntsagung und Läuterung deutlich erkennen; ja auch die Gestalt einer ver­lassenen Geliebten ist beibehalten worden. Und so ist das Bild deutschen Volks­lebens, durch die ganze Reihe der traditionellen Motive des Volksliedes verfolgt, auch in diesem bloßen Auszuge wiedergegeben. Man muß es dem Verfasser lasseu, daß er dieses deutsche Volkslied in ganz intimer und wirklich verständnis­voller Weise studirt hat; was feine Bildung und literarische Gewandtheit nur erreichen kann, hat er erreicht. Er hat das Volkslied in allen seinen Verzweiguugeu, als Naturempfindung, Stimmungsbild, Wander- und Liebeslied, Handwerks- und Soldatenlied, Trink- und Kampflied nachzuahmen sich bestrebt, mit den einfachen, schlichten Eingängen, mit den bekannten Schlüssen:Wer aber dieses Lied gemacht," mit der kindlichen Freude an Klangnachahmungen in Worten u. s. w. Aber man kann, bei aller warmen Anerkennung für den ausgezeichneten Geschmack und die gewählte Bildung des Autors, doch nicht umhin, zu bemerken, daß diesen Liedern eine ursprünglich lyrische Kraft abgeht: sie bleiben Nachahmungen; eine originale Sprache, die in notwendig selbstgeschaffenen Bildern sich nusspräche, besitzen sie nicht; ja Bildlichkeit und schlagende Kraft der Kürze ist überhaupt nicht ihr besondrer Vorzug; ein einziges hübsches Bild findet mau S. 32:

Im weißen Feierkleidc Ziehn Wolken ob der Haide, Wollt' Gott, ich wär' ein Schwan, Ich wollt' mit ihnen fliegen.

Anch ein hübsches Stimmungsbild fanden wir S. 34, das wir hier mitteilen wollen:

Ich wandle ruhig durch die Flur Zum Dörflcin, das versteckt im Thal. Der Kirchturm ragt aus Bäumen nur, Beleuchtet noch vom letzten Strahl. Wohl blitzt das Kreuz in lichter Pracht, Das Schwalben zwitschernd hoch umfliegen, Wenn unten schon in halber Nacht Des Thales stille Hütten liegen.

Sonst dürfte man nicht bald gleichwertige Stücke in dem Buche fiuden. Aber man wird auch höchst selten durch geradezu mißlungene verletzt. Man hat immer Gelegenheit, sich an der Bildung des Autors zu freuen, der ja mit seiner Liebe zum Volksliede und der Vertiefung in dasselbe den schönsten Beweis seines feinen Verständnisses der lyrischen Poesie geliefert hat. Nur freilich wird man nicht er­griffen und hingerissen werden.

Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. Druck von Carl Marquart in Rendnitz-Lcipzig.