Die landwirtschaftliche Muster-Lnquete in Baden,
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die Gefahr einer Übervölkerung naheliegt, darf zwar kaum in Zweifel gezogen werden, und wir glauben, daß das Gleiche sich noch für viele andre Gegenden Deutschlands sagen ließe. Dennoch erblicken wir in der beginnenden Übervölkerung weniger eine Ursache der gegenwärtigen ungünstigen Lage — wiewohl ein gewisser Einfluß nicht geleugnet werden soll — als eine Gefahr für die Zukunft. Wären die gegenwärtigen Leiden der Landwirtschaft wesentlich ein Prodnkt der Übervölkerung, so müßten doch wenigstens die Großbesitzcr von diesen Leiden unberührt geblieben sein, was niemand wird behaupten wollen. Sonderbar ist es anch, daß sich zugleich mit der Klage über Übervölkerung sast überall begründeter Anlaß findet zu der Klage über die kaum zu erschwingende Höhe der Arbeitslöhne. Da muß es sich doch wohl in vielen Fällen weniger um das Vorhandensein zu vieler Menschen, als vielmehr um das Vorhandensein zu vieler solcher Leute handeln, die um jeden Preis selbständig sein wollen. Scheint sonach die Enqnete ein etwas übertriebenes Bild von den bisher zu Tage getretenen Wirkungen der Übervölkerung zu liefern, so bleibt es doch äußerst dankenswert, daß man dem Punkte soviel Aufmerksamkeit gewidmet hat, nicht nur, weil es von Wert ist, künftigen Gefahren schon jetzt ins Auge blicken zu können, sondern auch, weil immerhin jetzt schon manche Gemeinde oder Familie sich erleichtert fühlen dürfte, wenn der Wegzug von Individuen, die für ihre Existenz keine rechte wirtschaftliche Grundlage finden können oder wollen, in irgendeiner zweckentsprechenden Weise gefördert werden könnte. Wer lieber zu gründe gehen als Tagelöhner sein mag, und andrerseits doch wieder nicht imstande ist, sich zu Hause selbständig zu machen, der soll eben in Gottes Namen auswandern, und wenn, wie zu hoffen steht, die Kolonisationsbestrebungen des Reichskanzlers und des deutschen Volkes den Widerstand der Herren Richter und Bamberger überwinden, so werden die Auswandernden vielleicht in nicht zu ferner Zeit auch über dem Meere eine Stelle finden können, wo sie Deutsche bleiben.
Außer dem stärkern Abzug der Bevölkerung nennt der Erhebungsbericht als ein weiteres Heilmittel für die Leiden zu dicht bewohnter Landesteile die Einführung von Hausindustrien, ein an sich gewiß recht gutes, freilich nicht unmer nachhaltiges Mittel, dessen Anwendung auch meist an der Schwierigkeit der Einbürgerung solcher Industrien — neuerdings wohl auch an dem geringen Verdienst, den sie abwerfen — scheitert. Wir kommen hierauf noch zurück.
Jedenfalls wäre es erfreulich, wenn Erhebungen in den andern Bundesstaaten näheren Aufschluß darüber geben könnten, wieweit eine thatsächliche oder scheinbare Übervölkerung (d. h. zu große Zahl von Individuen überhaupt oder nur von „selbständigen" Leuten) hie und da vorhanden ist, und, wenn weder das eine noch das andre zutreffen sollte, ob auch für die Zukunft die Auswanderung in ihrem bisherigen Umfange genügt, um eine zu starke Vermehrung der Bevölkerung zu hindern, oder ob durch künstliche Förderung der