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Johannes Brahms. 2.
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Johannes Brahms.

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des Freischützkomponisten. An dieser interessant rastlosen Melodie prüften unsre Großväter die Virtuosität ihrer Rechten. Brahms setzt sie in die linke Hand und stellt ihr in der rechten neu erfundene und durchgeführte Contrapunktc ent­gegen. Die Idee dieser Studien ist an sich ganz nein sie zeigt wieder das immer und überall erfindende Genie. Für die Klaviertechnik und die Aus­bildung der höhern und höchsten Virtuosität sind diese Studien von emi­nenter Bedeutung allem Anscheine nach aber wenig benutzt. Außer den Pianisten müssen sie auch jeden ausgebildeten Musiker und Musikfreund als geniale Curiosa und Kunststücke ersten Ranges interessiren.

Wenn wir Brahms' Thätigkeit als Klavierkomponist überblicken, so können wir nicht ganz das Bedauern unterdrücken, daß er sich auf diesem Gebiete so selten macht. Die gewöhnlichen Liefernngen für die Hausmusik mögen den festen Händen überlassen bleiben, in denen sie sich schon lange befinden. Aber ein häufigerer Impuls von Meister Brahms auf diesem Terrain würde für die Entwicklung der Tonkunst nicht unwichtig seiu. Beethovens Symphonien wären nicht so schnell und nicht so tief in alle Kreise der musikalischen Gesellschaft eingedrungen, wenn ihnen die Sonaten des Meisters nicht zur Seite gestanden hätten. Namentlich dieVierhändigeu" im Lande lechzen nach einem neuen Trunke aus dem Brahmsschen Muscnquell. Ein Heft neuer Variationen, über ein Volkslied etwa, für Primo uud Sceoudo würde wie ein Weihnachtsgeschenk begrüßt werden!

Noch haben wir derUngarischen Tanze" zu gedenken. Die ersten zehn erschienen zu Anfang der siebziger Jahre in zwei Heften, und ein Jahrzehnt später ließ ihnen Brahms wieder zwei Hefte, die gleiche Zahl enthaltend, nach­folgen. Die Originalmclodien zu diesen Tänzen hat Brahms selbst gesammelt. In Ungarn gehören sie herrenlos zu dem öffentlichen Gut der Zigeunerkapellen ihren Komponisten ist erst nachgefragt worden, nachdem Brahms diese Weisen berühmt gemacht hatte. In der That ist das Verdienst, welches sich Brahms um die ungarische Mnsik erwarb, indem er diese Tänze in die internationale Kunstpflegc einführte, kein geringes. Weder Haydn, Beethoven und Schubert, welche gelegentlich magyarische Anleihen machten, noch Liszt, der mit seinen Ungarischen Rhapsodien" zuerst systematisch voranging, haben uns das ganz eigentümliche Element dieser ungarischen Musik so nahe gebracht wie Brahms, der in seiner durchgreifenden Art an die Quellen selbst ging und sie so getreu wiedergab, als dies überhaupt möglich ist. Wie schwierig aber dieses Unter­nehmen ist, das lernt man verstehen, wenn man einmal die eine oder die andre der heute durch Brahms populär gemachten ungarischeu Weisen von Zigeuner­kapellen, am besten ein und dieselbe von verschiedenen solchen Kapellen, vor­tragen hört. Das kommt alles aus einer unergründlich und zauberhaft reichen, aber chaotischen Musikempfindung heraus und für uusre an Maß und Ord­nung gewöhnte Fassungskraft bieten diese regellos schweifenden und schwärmenden