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Die Lngel ans Lrden.
Der Ausdruck in Laurettens Gesichtszügeu war aber auch sehr geeignet, diese unerfreulichen Eindrücke hervorzubringen. Es lag darin Wnt, Bosheit und Ironie. Sie hatte Paul gewissermaßen zu Ninas Füßen gesehen, hatte gesehen, wie sein Antlitz von innerer Freude glänzte, und hatte mit weiblichem, in solchen Fällen nie trügendem Scharfblicke herausgefunden, daß Paul diese Frau liebte oder im Begriff stand, sich in sie zu verlieben. Sie erinnerte sich jetzt daran, daß Paul am Abend vorher bei den Worten, welche sie über Nina geäußert hatte, in seinen Mienen eine gewisse Verwirrung, wenn nicht gar eine schlecht verhehlte Entrüstung an den Tag gelegt hatte; sie wußte jetzt auch den wahren Grund, weshalb Paul ihren Verführungskllnsten getrotzt und in so vermessenem Tone zu ihr gesprochen hatte; die Ursache hiervon war nicht dem Ärger über die längst verjährte Beleidigung, sondern der neuen Liebe beiznmessen.
Nun war ihr alles klar, und wenn sie schon früher die Absicht gehabt hatte, Paul wieder iu ihre Liebcsnetze zu ziehen, so wurde sie iu diesem Vorsatze durch den Haß gegeu jene Frau und das Verlangen, sich an beiden zu rächen, noch mehr bestärkt.
Alle diese Gedanken zogen in einem Augenblicke vor ihrer Seele vorüber. Sie hatte ihren Plan mit derselben Schlagfertigkeit gefaßt, welche das Genie eines Feldherrn bei dem unvermuteten Andrängen des Feindes offenbart. Und ebenso schnell hatte sich die Wolke auf ihrer Stiru zerteilt, war der boshafte Blitz ihrer Augeu erloscheu; sie spielte die Heitere und Liebenswürdige, als ob ihr die angenehmste Überraschung widerfahren wäre. Die beiden Damen begrüßte sie durch ein leichtes Kopfnicken, zu Paul aber wandte sie sich mit vollendeter Anmut und streckte ihm mit der Vertraulichkeit einer alten Freundin die Hand entgegen.
Guten Tag, Amnrdi! Sehr erfreut, Euch wohl zu seheu. Ich hoffte, Ihr würdet heute früh kommen. Vergeßt es nicht! Ich wünsche, daß wir unsre altcu Gewohnheiten wieder aufnehmen. Angenehmen Spaziergang!
Paul war aufgestanden; die Aufregung, in der er sich befand, ließ ihn zn keinem passenden Entschlüsse kommen. Am liebsten Hütte er die Hand der Gräfin zurückgcwiescu und gesagt: Geht Eurer Wege und laßt mich zufrieden, denn ich habe nichts mit Euch zu schaffen! Und nur die Besorgnis, in Ninas Augen als ein Grobian zu erscheinen, hielt ihn davon ab. Aber er berührte den an der Hand der Gräfin eng angepreßten Handschuh nur mit den Fingerspitzen und statt der Antwort machte er nur eine leichte, hochmütige Verbeugung.
Die Gräfin flog mit ihrem Gefolge davon.
Was denkt sich dieser Herr da mit seinem stolzen Benehmen? fragte einer der Kavaliere, welcher es Paul nicht vergeben konnte, daß er am Abend vorher Lauretten eine halbe Stunde lang seinen Anbetungen entzogen hatte.
Er ist ein Original, antwortete die Gräfin mit erzwungenem Lächeln. Es ärgert ihn, daß wir in dieser Einsamkeit das verliebte Duett, welches er mit dieser Wachsfigur im schwarzen Kleide ausführen wollte, gestört haben.