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Die Engel auf Erden : Roman : aus dem Italienischen :
(Fortsetzung.)
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Die Engel auf Lrden.

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kunft suchen. Die Zukunft lächelte ihr aber nur in dem harmlosen, kindlichen Lächeln ihres Guido zu. Sie erhob sich leicht wie ein Schatten, näherte sich dem Bett des Kleinen, zog die weißen Vorhänge zurück und betrachtete liebe­voll den sanften Schlummer des Knaben, der wie ein von Raffaels Hand ge­malter Engel erschien. Zur Dankbarkeit gegen Gott hingerissen, faltete die Mutter ihre Hände, fiel neben dem Bette auf die Knie, die Stirn an das weiße Kissen gelehnt, ans welchem der Kleine rnhig atmend im süßesten Schlummer versunken lag, und betete lange.

Paul war erst spät in der Nacht eingeschlafen. Am Morgen wurde er durch ein leichtes Klopfen an seiner Thür geweckt, als eben ein heiterer, durch die Vorhänge dringender Sonnenstrahl seine Bettdecke mit goldnen Streifen überzog.

Herein! rief er in die Höhe fahrend, und warf einen halb unsichern, halb verwunderten Blick um sich, wie jemand, der ganz gegen seine Gewohnheit beim Aufwachen sich an einem ihm fremden Orte befindet.

Das reinliche, freundliche, bescheiden möblirte Stübchen, am Fenster das Tischchen mit der darüber gespannten grünen Decke, ein kleines Bücherbret mit einigen Reihen von dunkel eingebundenen Büchern, die alten, ihm wohlbekannten Kupferstiche an den Wänden: alles erinnerte ihn so an seinen Jugendaufenthalt im Vaterhause, daß es ihm vorkam, als ob seine ganze bisherige Vergangen­heit nur ein Traum gewesen sei, und daß er sich jetzt, wo er erwachte, in Wirk­lichkeit noch immer an jenem Ort befände. Und um diesen Eindruck zu erhöhen, erschien ganz in derselben Weise, wie in jenen längst vergangenen Tagen, die gute Schwester im Stübchen, den Teller mit der Tasse und der kleinen Kaffee­kanne in der Hand. Zwar war die Zeit nicht spurlos an ihr vorübergegangen, sie hatte ein paar Falten auf ihr liebevolles Gesicht gegraben, aber die waren zu dieser Stunde, bei dem matten, gebrochenen Lichte nicht sichtbar, und auf ihren sanften Gesichtszügen leuchtete ebenso wie früher, vielleicht noch lebhafter, die Herzensgüte als Zeichen der ewigen Jugend ihrer Seele.

Bist du es, meine gute Adele? sagte Paul. Immer noch dieselbe! Weißt du wohl, daß ich mir wirklich so vorkomme wie der Faulpelz von ehemals, der sich so gern von dir bemuttern ließ?

Adele lachte und goß mit der Würde einer Gouvernante den von ihr selbst bereiteten Kaffee ein.

Trink, antwortete sie, und sage mir, ob dir der Kaffee noch ebenso schmeckt wie damals. Und als sich ein Getöse von muntern Kinderstimmen vor der Thür vernehmen ließ, fuhr sie fort: Du wirst dich gleich überzeugen, daß man sich Mühe giebt, deine Illusionen von der Vergangenheit zu zerstören und dir die Gegenwart vor Augen zu bringen.

Jetzt brachen die vier Neffen Pauls in das Stübchen ein, unter Anführung des größten, und alle schrieen um die Wette, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.