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Alter Tratsch.
er erkennen, wie zeitgemäß sie noch immer ist. Die Anerkennung Gottes, die Begegnung mit Börne an dem Tintenpfuhl, bei dessen Anblick Heine wie Lady Macbeth die Hände beschaut und mit schlauem Lächeln ausruft:
Rein ist meine Hand von Tinte,
Denn schon lang schrieb ich mit Bleistift
Meine allcrschlimmsten Sachen —
das wird ja alles wieder „aktuell." Aber zu der Strophe:
Manch ein Eckermcinnchen harrte Aufmerksam an seinem Bette, Schreibbereit mit seinem Griffel, Den es still im Ärmel barg
müßte Keller jetzt eine neue dichten. Die Gilde der Chiffonniers, die keinen Ekel kennen, die in den unsaubersten Winkeln nach Zeugnissen der Existenz des Dichters spähen und, was sie ergattert haben, der gläubigen Welt als Reliquien darbieten, sie verdiente doch auch Berücksichtigung.
Der Herr, welcher das geschilderte Kunststück der Aufblähung der „Memoiren" zu einem (äußerlich) anständigen Buche vollbracht hat, nennt sich Eduard Engel. Der Name klingt deutsch, aber sein Träger, ist gewiß kein Deutscher, sonst würde er z. B. nicht schreiben: „Dort hat Heine — und seit einem Jahre auch Mathilde Heine — seine letzte Ruhestätte gefunden." Vor allem jedoch würde er sich nicht dazu herbeigelassen haben, den Unflat aufzurühren. Wie niedrig man Heine als Menschen auch stellen mag, so lange nach seinem Tode noch in seiner abschreckendsten Häßlichkeit gemalt zu werden, hat er umso weniger verdient, als er selbst über seine Ruchlosigkeit längst keinen Zweifel mehr hatte bestehen lassen. Und angenommen, Herr Engel habe den toten Heine absichtlich beschimpft, er habe dem Dichter oder dem Spötter oder dem Juden oder dem abtrünnigen Jnden oder dem Franzosenfreunde irgend- etwas noch heute nicht verziehen: als Deutscher hätte er empfinden müssen, daß es die Nation beleidigen heißt, wenn man ihr jetzt noch Interesse an solchen Erbärmlichkeiten zumutet. Die thatenlose Zeit von damals und die Gegenwart! Man möchte Uhlcmd parodiren: Nach solchen Opfern solcher Klatsch und Tratsch! Aber der Herausgeber weiß offenbar garnichts davon, daß Deutschland nicht mehr unter den Nationen die Rolle des armen Magisters spielt, den man auf feinem Stübchen brotlose Künste treiben läßt und nicht befragt, wenn es sich um ernste Geschäfte handelt.
„Neue Funde aus Heines Nachlaßpapieren" ist ein Abschnitt überschrieben. Und was haben die Glücklichen gefunden? Ein Bruchstück eines Testamentsentwurfs, eine Beschwerde darüber, daß die Allgemeine Zeitung einen französischen Artikel Heines ohne dessen Ermächtigung übersetzt hatte, und ein „Offenes Sendschreiben an Jakob Venedey." „Jetzt, wo Venedey tot, liegt keine Veranlassung vor, dies Stück echthcinescher Polemik zu unterdrücken," bemerkt der Herausgeber dazu. Das soll doch wohl heißen, daß man den lebenden Vencdeh durch die Veröffeutlichung nicht habe kränken dürfen. Uns dünkt, er würde höchstens darüber Scham empfunden haben, zu dem Verfasser des Sendschreibens jemals in ein freundschaftliches Verhältnis getreten zu sein. Wohl aber hätte dem Andenken Heines diese Verunglimpfung erspart bleiben sollen. Da wird zuerst ein Notizenblatt voll Schimpfworten und andern Gemeinheiten abgedruckt, und dann die Verarbeitung dieses saubern Materials, ein Aufsatz, der an Nohheit alles überbietet, was Heine jemals in seinen