Notizen.
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über sich gewinnen würden, einzugestehen, es gebe zwischen Himmel und Erde wirklich Dinge, welche sie noch nicht ergründet haben, und daß sie sich die Untugend abgewöhnen, die Existenz alles dessen zn leugnen, was sich nicht mit Wage und Mikroskop konstatiren läßt. Sie verurteilen oder verspotten jeden Glauben, welcher dem Gemüte des Menschen entsproßt ist, und verlangen zugleich unbedingten Glauben für ihre Theorien. Wenu aber zwei Propheten mit einander in Streit geraten, so wird gewiß derjenige den Sieg behalten, welcher sichtbare Wunder thut. Die Wissenschaft war es nicht, die den Spiritisten Bastian zu Falle gebracht hat, jetzt lehnt sie sich gegen den Antispiritisten Cnmberland auf und meint, ihn mit einer wegwerfenden Handbewegung abfertigen zu können, doch dafür ist der Mann augenscheinlich zu stark — im Geschäfte. Das sensationsbedürftige Publikum findet dabei ebenso seine Rechnung wie er selbst. Denn, ob Spiritismus oder Antispiri- tismus, das bedeutet so viel wie Staatsanwalt uud Verteidiger, Redner von der Rechten und von der Linken; ein aufregendes Schauspiel will man haben.
Francesca von Rimini. In der zuerst von den Grenzboten gebrachten und jetzt auch in der „Grenzbotensammlung" erschienenen Novelle „Francesca von Rimini" Wird auch der rührenden Episode der göttlichen Komödie Dantes gedacht, wo die schöne Tochter von Rimini dem Dichter die Ursache ihres frühen grausamen Todes erzählt. Die Heldin der erwähnten Novelle sucht, wie viele andre, dafür eine Erklärung, daß Dante jenes rührende Liebespaar in die Hölle versetzt, uud findet den Grund in der religiösen Anschauung, wie sie der Dichter vielfach in jenem großen Werke äußert. Der Tod durch die Hand des Gatten und Bruders hat die Liebenden überrascht, bevor fie imstande waren, ihre Sünden zu bereuen. Wer aber ohne Reue vom Tode hingerafft wurde, der mußte nach der auch von: Dichter geteilten Ansicht des Mittelalters an den Ort des „ewigen Schmerzes."
Gegen diese von vielen Danteerklärern vertretene Deutung wendet sich eine Studie von Luigi Morandi.*) Sie ist zunächst ein Beweis, wie hoch in Italien noch immer die Verehrung der „Göttlichen Komödie" steht. Jene Studie war eine Jugendarbeit, die der Verfasser auf Dringen des Redakteurs wider Willeu und in Ermangelung andrer Aufsätze einem Journal überließ. Kaum aber war die neue Deutung veröffentlicht, so ergossen sich wie in einer Sturmflut unzählige Briefe, Karten, Artikel, Schriften über diesen Gegenstand und drohten durch ihre Menge den Redaktionstisch zu erdrücken. Es war, als ob in ein Wespennest gestochen worden wäre.
Wir hoffen, daß ein kurzer Bericht über diese neue Deutung den Lesern der Grenzboten nicht unwillkommen sein wird. Die Erklärung Morandis ist eine rein ästhetische und deshalb besonders anmutend. Morandi weist nach, daß der Dichter viel größere Sünder in das Fegefeuer und in das Paradies versetzt habe, und daß es nach seiner Meinung, um dieser göttlichen Gnade teilhaftig zu werden, nur eines einzigen frommen Ausrufes im letzten Augenblicke bedürfte (vergl. z. B. ?ui-ss. III. 113—123). Es wäre also dem Dichter ein leichtes gewesen, auch der sterbenden Francesca und ihrem Geliebten ein solches Wort in den Mund zu legen, nm sie von dem Höllenbanne zu erlösen. Dante wurde von rein künstlerischen Beweggründen geleitet. Das Fegefeuer und das Paradies sind in sich selbst so großartig, daß gegenüber diesen Orten der einzelne, der darinnen Weilt, viel weniger
*) I^s, ^rimosses, äi D-mts. Ltaäio äi ImiZi Uor-mäi. 1834. Litts, äi Lastsllo. 8. I^xi, ?ix»Aricko oäitors,