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Humanität im Strafrecht,
Punkt. Die eifrigen Humanitätsverfechter sind zugleich eifrige Verfechter des Grundsatzes UM mv tÄNAörs! Ist einem der Schönredner nur der geringste Schaden zugefügt worden, dann wird Polizei, Staatsanwaltschaft u. s. w. in Bewegung gesetzt zur energischen Bestrafung des Missethäters; keine Strafe im Kodex ist für den schweren Fall scharf genug. Ist dagegen einem Mitmenschen ein Leid zugefügt worden, so wird zwar in dem bekannten Entrüstungston die That besprochen und verurteilt: nach kurzer Zeit aber ist die Entrüstung verflogen, die „humane" Anschauung greift wieder Platz, und der Verbrecher wird entweder für einen unzurechnungsfähigen oder doch für einen bemitleidenswerten, verirrten Menschen angesehen, dem janicht zu nahe getreten werden darf. Die Sonderinteressen sind ja durch die That nicht berührt, und es macht den gutcu Eindruck eines „gebildeten Mannes," sich über die „augenblickliche Leidenschaft" zu stellen und eine „humane Denkart" an den Tag zu legen: man ist sür möglichst „humane" Bestrafung des Übelthäters.
Was heißt nun eigentlich humau im Strafen sein? Die Antwort hierauf kaun doch mir lauten: so strafen, daß der Thäter in der Strafe ein Übel erblickt, dabei aber unnötige Grausamkeit und Härte ferngehalten wird. Nun kann aber jede Grausamkeit und Härte nicht ausgeschlossen werden, es ist das mit menschlichen Mitteln nicht zu erreichen. Es wird z. B. nach allgemeinen Begriffen immer eine grausame Handlung bleiben, einem Mörder das Todesurteil vierundzwanzig Stunden vor der Hinrichtung zu verkünden, ihn also stundenlang in eine furchtbare seelische Aufregung zu versetzen und dann unter gewissen Zeremonien zu töten, auch wenn es kraft des Gesetzes geschieht. Ebenso bleibt es eine Härte, daß eiue arme Witwe, die, um sich und ihre Kinder vor Hunger zu schütze», letztere, anstatt den richtigen Weg zur Armenbehörde einzuschlagen, aus falscher Scham zum Vetteln ausschickt, deshalb mit Hast bestraft wird. Aber diese Erkenntnis darf nicht dazu verleiten, Strafen festzusetzen, welche den Übelthäter nicht empfindlich zu treffen imstande sind; für ihn muß die ausgesprochene Strafe in jedem Falle ein Übel sein, ein Übel, das er nicht ans sich geladen haben würde, wenn er nicht gefehlt hätte. Es darf daher die ausgesprochene Strafe nichts andres als ein wirkliches Übel, jedenfalls aber keine Wohlthat oder wenigstens kein Etwas sein, was dem Bestraften glcichgiltig ist; dem: letzternfalls hat sie ihren Zweck gänzlich verfehlt.
Unsre Humanitätsbestrebungen haben uns glücklich dahin gebracht, daß in vielen Fällen der Bestrafte die ihm auferlegte Strafe garnicht als solche empfindet, daß er vielmehr, sofern die Strafe in Freiheitsentziehung besteht, eine Art Versorgung darin erblickt, sofern sie in Erlegung einer Geldsumme besteht, glcichgiltig darüber Hinwegsicht. Man halte nicht ein, daß Fälle der ersten Art vereinzelt dastehen. Abgesehen davon, daß leider nur zu hänsig Verbrechen, insbesondre Brandstiftung, Rückfallsdiebstahl :c., begangen werden in der Absicht, im Zuchthause eingesperrt zu werden, spricht die erschreckend hohe Zahl der ge-