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Die Entstehung des Laust.
„Ich Werde sorgen, daß die Teile anmutig und unterhaltend sind und etwas denken lassen; bei dem Ganzen, das immer ein Fragment bleiben wird, mag mir die neue Theorie des epischen Gedichtes zu statten kommen."
Wenn der Dichter hier sagt, das Ganze werde immer ein Fragment bleiben, so hat er sich offenbar dabei gedacht, was alle Äußerungen dieses Briefwechsels bestätigen: die Ausführung wird andeutend, aber nicht erschöpfend ausfallen. Fünf Tage vor dem angeführten Briefe hatte er an Schiller geschrieben, er wolle die Ausführung des Planes, der eigentlich nur eine Idee sei, näher vor- bereiten, indem er das Gedruckte — in dem Fragment von 1790 — wieder auslöse und mit dem außerdem Fertigen oder Erfundenen in großen Massen disponire. Den Ansdrnck „nur eine Idee" werden wir zn erläutern haben, wenn wir an die Umbildung des Gedichtes kommen. Hier an dieser Stelle kommt es uns nur darauf an, den fragmentarischen Charakter der Teile, der das Ganze nicht in dem Sinne zum Fragment macht, daß die Idee nicht in ihrer ganzen Entwicklung angedeutet sei, sondern nur in dem Sinne, daß die Momente der Idee eben nur angedeutet und nicht ausgestaltet sind — es kommt uns darauf au, diesen fragmentarischen Charakter für die erste Faustgestaltung als eine nur äußere, die plastische Vollständigkeit nicht ausschließende Eigenschaft zu erklären, für die spätere Gestaltung aber als eiue zugleich pragmatische und plastische UnVollständigkeit. Ich meine also, in dem späteren Gedicht fehlt mit dem äußeren Pragmatismus der Handlung auch die innere Stetigkeit der Handlung, während diese Stetigkeit den ersten Entwurf in vollkommener Weise durchdrang.
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Der erste Faust begann, wie das Fragment von 1790, mit dem mitternächtigen Monolog in Fausts Stndirzimmer. Der Monolog, die Geistercr- scheinungen, das Gespräch mit Wagner decken sich mit den Szenen des jetzigen Faust bis zu den vier Zeilen einschließlich nach Wagners Abgang, mit welchen diese Szene auch im Fragment von 1790 schließt. Während nun in dem jetzigen Faust nach diesen Zeilen Faust der Störung Wagners dankt, daß sie ihn von der Verzweiflung losgerissen habe, muß in der ersten Gestalt Faust sich von den Schrecken über die erste Erscheinung des Erdgeistes zu einem neuen, noch leidenschaftlicheren Flehen an den Geist aufgerafft haben, ihm nochmals zu erscheine». Die zweite Erscheinung erfolgt, nnd Faust hält diesmal ihrem Eindrnck stand ohne erheuchelten Trotz, er verlangt, wie es jetzt in dem weit später gedichteten Schluß des ersten Monologs heißt, „durch die Adern der Natur zu fließen und schaffend Götterlebcn zu genießen." Der Geist weist ihn darauf hin, daß dies nichts andres heiße, als den sterblichen Geist mit dem unendlichen Geist vertauschen, der nur Einer sein kann. Faust verlangt darauf, wenn nicht die Unendlichkeit, doch einen erhöhte« Auteil au den Lebenskräften, er will einen