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Der neue Merlin : Novelle :
(Fortsetzung.)
Seite
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Der neue Morli».

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die Schöne mit ihrer alten, sonst schweigsamen Begleiterin wechselte. Es war ein blauer, stiller Frühlingstag, von der Adria her kühlte ein frischer Meerhanch die heißen Wangen Gabricllas, und über Torcello schwebte eine lichte Wolke. Keinen Augenblick jenes Morgens habe ich je aus dem Gedächtnis verloren, und ich sehe alles, alles den Sonnenstrahl, welcher über die schlanke Gestalt meiner schönen Begleiterin ans die roten Kissen herabfiel nnd die Wassertropfen am Ruder des Gondoliers weithin funkeln ließ! Als wir hier ans Land stiegen, wnßte ich, daß ich ihr kein Fremder mehr sei, nnd als wir zusammen nach San Fosca schritten, bat sie mich, bei ihrem alten Siguor Bartolomev, dem Priester, der einst Lehrer und Kustvde der Sammlnngen ini Hause Parini gewesen sei, zurückzubleiben. Sie wolle mir am Nachmittag eine andre Gondel senden, nud inzwischen freue sich Bartolomev darauf/ daß ich seiu Gast sein werde.

Erst als sie längst nach der Stadt zurückgekehrt war und als ich mit dem hochwürdigcn Bartolomev bei einem schmalen, aber vergnügten Pfnrreressen saß, ging mir auf, weshalb sie mich hier zurückgelassen. Von dem Priester konnte ich alles vernehmen, was zn wissen mir frommte. Und ich vernahm denn auch, daß Gabriclla Parini von Jugend auf das unselige Geschick gehabt habe, von armen Vettern umworben nnd bedrängt zu sein. ' Alle Zweige ihrer Familie, mit Ausnahme dessen, dem sie selbst als letzte Erbin angehörte, waren beinahe so arm wie ich selbst! Dem Wunsche ihres Vaters folgend, hatte Gabriella den erträglichsten nnter den vermögenslose» Vettern geheiratet. Sie war, wie der Prete vorsichtig andeutete, darüber unglücklich sehr unglücklich ge­worden. Und seit kurz nach dem Abscheiden ihres Vaters ein früher Tod ihres Gemahls ihr unerwartet die Freiheit zurückgegeben hatte, waren ihre Tage be­drängter als je geworden. Die dürftigen jungen Nvbili hielten sie wie mit einem eisernen Ringe umschlossen. Sie haßten sich untereinander, nnd jeder be­neidete im voraus den Vetter, welcher Signvra Gabriellas Hand davon tragen würde. Sie überwachten argwöhnisch jcdeu Schritt und jeden Blick ihrer schönen Base, sie hatten sich iu ihrem Palast förmlich heimisch gemacht nnd waren unter sich stillschweigend übereingekommen, daß die reiche Verwandte nieder Wittwe bleiben noch einem Manne außer der Familie die Hand reichen dürfe. Sie wußten wohl, daß sie keinen Zwang üben konnten, welcher der Welt ersichtlich geworden wäre, aber sie zählten auf den stärkereu stummen Zwang, der in den täglichen Gewohnheiten nnd Umgebungen, in der Begrenzung des persönlichen Verkehrs, in der fortgesetzten Rücksicht auf einen Familienkreis liegt. In dieser Zuversicht bedrängten sie die schöne Verwandte mit ihren Hvffnungcn und Wünschen. Gabriella erwehrte sich der ausgcsprochnen und unansgcsprochncn, jedoch unablässigen Werbungen mit Mühe, sie wollte nicht zum zweitenmale dem tiefen Elend einer Ehe anheimfallen, wie ihre erste gewesen war. Mit jedem Tage wurde ihr das schwerer, uud fortgesetzt wuchs das Ungestüm der Bewerber. Mein viernndzwanzigjähriges Blut erhitzte sich bei jedem Wort dieser wehmütigen Erzählnug Bartolomeos mehr und mehr. Ich leistete im stillen tolle Schwüre und vergaß mich zn fragen, welche Mittel mir zu Gebote stünden, um die holde angebetete Frau von ihrem Freierschwarm zu erlösen. Ich glaube, daß ich träninte, die Vettern, von denen ich noch keinen erblickt, nacheinander zu beleidigen und sie alle, vor meinen Degen zu fordern.

^Schluß fvlgt.)