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häglich Auskommen wäre, wenn er nur für sich selbst schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse ans den Rosenzwcigen sitzen nnd sich hübsch dick und grtt» gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrirten Saft aus den Leibern. Und so gehts weiter und wir Habens soweit gebracht, daß oben immer in einem Tage mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden kann." Einige Tage vorher hatte er seiner Geliebten von Mciningen ans geschrieben: „Ich habe mich diese Tage her recht bemüht, meine Gedanken auf die Erdschollen zu konzentriren, und bin nur überzeugter, daß ein Mensch, der seine Lebzeit am Spieltisch zugebracht hat, nicht ein Bauer werden kann. Man muß ganz nah an der Erde geboren und erzogen sein, um ihr etwas abzugewinnen." Wie wahr ist diese Bemerkung! Statt Spieltisch ließen sich noch viel andre Wörter setzen!
Die Stände fassen sich zu einer Nation zusammen, und so stehen sich die Völker einander gegenüber, jedes mit bestimmtem Charakter, in eigner Art und Weise. Auch auf diese nationalen Besonderheiten fällt in Goethes Werken hin und wieder ein kurzes, Helles Licht. Wir meinen damit nicht den allgemeinen Hintergrund, der je nach dem Lande, in das uns die Dichtung versetzt, ein andrer ist, wie z. B. italienische Luft im „Tasso" weht, niederländische im „Egmont" n. s. w., sondern die mehr direkten Urteile nnd Bezeichnungen, wie sie in Glimpf und Unglimpf die Nachbarvölker gegen einander anwenden. Im „Götz" sind der alte nnd der junge Bauer oder der Brautvater und der Brän- tigam beide in ihrem Prozeß von dem aus Bologna gekommenen Juristen ausgeplündert worden, und der erste ruft: „Der Teufel hol den Assessor Sapupi, es ist ein verfluchter schwarzer Italiener." Ebenso im „Wilhelm Meister" 2, 4: „Der schwarzbärtige heftige Italiener." Götz träumt von einer bessern Zeit im deutschen Reiche und sagt: „Wir wollten uns mit unsern Brüdern, wie Cherubim mit flammenden Schwertern, vor die Grenzen des Reichs gegen die Wölfe die Türken, gegen die Füchse die Franzosen lagern und zugleich unsers teuern Kaisers sehr ausgesetzte Länder und die Ruhe des Reichs beschützen. Das wäre ein Leben!" Jetzt würden die Wölfe wohl anders benannt werden, die Füchse aber sind geblieben, und auch Brander in Auerbachs Keller sagt: Ein echter deutscher Mcmn kann keinen Fmnzcn leiden — und Aurelie über die französische Sprache (5, 16): „Wie ich sie jetzt von ganzem Herzen hasse! Zu Reservationen, Halbheiten und Lügen ist es eine treffliche Sprache! Sie ist eine perfide Sprache! Ich finde, Gott sei Dank, kein deutsches Wort, um perfid in seinem ganzen Umfange auszudrücken. Unser armseliges »treulos« ist ein unschuldiges Kind dagegen. Perfid ist treulos mit Genuß, mit Übermut und Schadenfreude. Französisch ist recht die Sprache der Welt, wert die allgemeine Sprache zu sein, damit sie sich nur alle untereinander recht betrügen und belügen können" u. s. w. Den französischen Hang zur Buhlschaft drückt Mephistopheles aus: