Gedanken über Goethe.
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Dem Adel dient als Fußgcstcll das Leben und die Arbeit der Bauersleute; an das Schloß und den Park schließt sich das Dorf, der Wald, das Feld; den Junker, wenn er auf die Jagd reitet, grüßt ehrfurchtsvoll der Ackerer am Pfluge, der Schäfer an der Spitze seiner Tiere, und er scherzt vom Pferde herab mit den Mädchen, die die Garben binden oder das Heu mit dem Rechen zusammenraffen. Auch bis zu diesem untersten Stande hat der Dichter bisweilen gegriffen und zeichnet auch dann Bilder von unvergleichlicher Wahrheit. Was kann lebendiger, sprechender sein, als der Bauerntanz unter der Linde in dem Liede: „Der Schäfer putzte sich zumTauz"? Das Schreien und Jauchze», das Stoßen und Stampfen, das Gekreisch des Fiedelbogens, der wütende Tanz, die fliegenden Röcke, die Erhitzung und die derbe Röte auf den Gesichtern, die sich sträubende Dirne und der Bursche, der sie deuuoch bei Seite schmeichelt — dies alles schwingt sich mit schlagendem Takt, in kurzen Worten und kräftigen Reimen, ebenso scharf als flüchtig an uns vorüber. Dem Dichter selbst muß dies Lied*) besonders im Sinne gelegen und gefallen haben, denn im zweiten Buch von „Wilhelm Meister" (Kap. 11) erinnert er daran und läßt es von Philinen singen, obgleich die Szene, zu der es gehörte (die Szene vor dem Thor im „Faust"), noch nicht ganz fertig war und darum mit samt dem Liede in dem Faust-Fragment von 1790 noch fehlte. Auch im „Götz von Berlichingcn" thut sich mehr als ein Stück Dorfsitte und Bauernart vor uns auf, so im zweiten Akt bei der Hochzeit, an der Götz und Selbitz teilnehmen, die eigensinnige Prozeßsucht, die vorherrschende Naturalwirtschaft u. s. w., dann im dritten Akt die Erzählung vom Landgrafen von Hcmau, wie er mit seinen Gästen im Freien speiste und das Landvolk herbeilief, sie zu sehen: „Die vollen, rundeu Köpfe der Bursche und Mädel, die roten Backen alle, und die wohlhäbigen Männer nnd stattlichen Greise, und alles fröhliche Gesichter, und wie sie Teil nahmen an der Herrlichkeit ihres Herrn, der auf Gottes Boden unter ihnen sich ergötzte," dann in den letzten Szenen die andre Seite des friedlichen Lebens an der Erde° der gequälte, ausgesogene, endlich gegen seinen Herrn in wilder Grausamkeit aufstehende Fröhner. Sehr charakteristisch ist es auch, wie sich im „Faust" der alte Bauer zum Herrn Doktor wendet nnd die Herablassung rühmt, mit der ein so Hochgelehrter sich unter das Volk mengt, denn dieser Respekt ist Bauernmanier:
^ *) Um sich die ganze Meisterschaft desselben sühlbnr zu machen, halte man die ländlichen Freuden der vielen horazischcn und anakrcontischen Dichter dagegen, z. B. in Hagedorns „Der Mai":
Nun stellt sich die Dorfschaft in Reihen, Nun rufen euch eure Schalmeien, Ihr stampfenden Tiinzer, hervor. Ihr springet auf grünender Wiese, Der Bnucrknccht hebet die Liese In hurtiger Wenduug empor.