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Notizen.
Ohne eine Kunst irgendwie der andern gegenüber (wenn man überhaupt von mehreren Künsten sprechen darf) herabsetzen zu wollen, möchten wir doch fragen: Welches höhere Aurecht auf echtes Material hat dem, ein winziges Kyma, ein Zahnschnitt am Hauptgesims vor dem Teile des Hauses voraus, an welchem sein schönster Schmnck zur Geltung, ja seine wahre Bestimmung, nämlich die der Men- schendarstclluug, zur handgreiflichen Erscheinung kommt? Wo steckt der Baukünstler, der es kalten Blutes zu Wege gebracht hat, sich diejenigen Partien, welche den Alten als ausschließlich dem gottgewcihtcn Tempel zustehend galten, mitten in der gesamten übrigen Sandsteinverkleidnng in Ölfarbe gestrichen zu denkeu? Denn daß er überhaupt gedacht hat, wollen wir zu seiner Ehre annehmen. Oder soll etwa der ganze übrige Ban, um Konformität mit den Giebelfeldern herzustellen, hinterher auch mit Ölfarbe überpinselt werden?
O Ölfarbe! Schon einmal wurde mit dir iu Berlin der gleiche Wandalismus verübt (am jetzigen Hotel der englischen Botschaft in der Wilhclmstraße), schon einmal decktest du mit deiner Ledcrhaut die Entwicktungsspuren herrlich gewachsenen Steines. Soll es mit dem einen male noch nicht genug sein?
Denjenigen, die es angeht, rufen wir hiermit auch in Ässtnotieis ein erustes ViävÄQt Lonsulss zu, welches sie beherzigen mögen, so lange es noch Zeit ist!
Ein Akt der Rache. Es wird unsre Leser erheitern, zn hören, daß die Behandlung, die wir gelegentlich Herrn Engel und seinem sogenannten Magazin für die Literatur des In- und Auslandes haben zu Teil werden lasseu, nicht ohne rächende Folgen geblieben ist. In der Nummer des Magazins vom 1. September dieses Jahres, die wir dem geneigten Leser zum Studium empfehlen, falls er sie irgendwo erwischen kann, schwingt Herr Max Schasler seinen kritischen Speer gegen Niemanns Roman „Bakchcn und Thyrsosträger," der vor einem Jahre in den Grenzboten Publizirt wurde. Herr Schasler ist von dem Roman nicht erbaut, durchaus nicht. Der Roman mißfällt ihm in dem Maße, daß er das Publikum davor warnen möchte. Er fürchtet, das Publikum könute durch denselben mißleitet nnd verführt werden. Vor allem tadelt er, daß der Verfasser platonische Weisheit wieder aufwärme. Er gesteht, daß ihm Platon schon auf der Schule unleidlich gewesen ist. Wir wollen das glauben. Wir halten es für sehr wahrscheinlich, daß der Platon Herrn Schasler mißfiel, als dieser Herr auf der Schulbank saß, und wir vermuten, daß dies seinem Ordinarius dieselbe Meinung von dem jungen Schasler einflößte, die wir von dem alten haben. Wir können uns denken, daß es nicht allem Platon war, der ihm unleidlich erschien, sondern daß auch Aristoteles, Xenophon, Thukydidcs und Sophokles ihm das Leben nicht versüßten. Und später auf der Universität und im ferneru Lebenslaufe werdeu Hegel, Fichte, Schelling, Kaut und derartige Leute, auch Shakespeare, Goethe und Moliere das Unglück gehabt haben, ihm zu mißfallen, denn es ist gar kein Grund anzuführen, warum eiuer vou diesen ihm hätte tief erscheinen sollen, wenn Platon ihm trivial vorkam, wie er sagt. Und so wurde Herr Schasler denn nach und nach, was er jetzt ist. Im besondern tadelt er Platons Ansicht vom Wesen der Schönheit, welche Niemann zitirt. Er hält Platons Meinung für phantastisch, konfus, nnreif. Es wird ihm wohl auch in der Schule schon so ergangen sein, aber es wäre gewiß belehrend, Herrn Schaslcrs Meinung die des Platon korrigiren zn hören. Dann wirft er Niemann vor, nicht zu wisse», wo die Havel fließt, da er von einer „Pommcrschen Havelbahn" rede. Vielleicht ist er ein Nachkomme jenes Kritikers, der Voltaire vorwarf, nicht zu wisse», daß Friedrich der Große König von Prcnßen sei, da er in seinem „Candide" diesen König als „König der Bulgaren" vorführe.