Notizen.
111
Jerusalem"? — So und ähnlich lauten wohl die zahllosen Fragen, denen jeder Gebildete, sei es in der häuslichen Unterhaltung, sei es im Verkehr mit Freunden uud Genossen oder in der Gesellschaft, häufig zu begegnen. Gelegenheit haben dürfte. Wem aber — selbst den Gebildetsten und Belesensten nnter uns nicht nnsgeuvmmen — wäre uicht schon hin und wieder das Malheur passirt, daß er die Antwort auf eine solche Frage hätte schuldig bleiben oder den Schein der Unwissenheit nnd Unbildung hätte auf sich laden müssen durch das verlegene Geständnis, daß er die in Rede stehende weltberühmte Dichtung zwar vor Zeiten einmal gelesen, der Inhalt jedoch ihm nur noch duukel im Gedächtnis, ja gänzlich daraus entschwunden wäre? Und gar der nur sogenannte Gebildete von heutzutage! Er weiß wohl im allgemeinen von jenen Klassikern zu reden, kennt ihre Hauptwerke wohl auch dem Namen nach, aber in die Tiefen einer solchen Dichtung einzudringen fand er weder Zeit noch Gelegenheit; er nennt sie wohl gar, weil ihm das Verständnis für die Wesenheit dieser Dichtungen fehlt, langweilig. DaS vorliegende Werk hat es sich daher zur Aufgabe gestellt, die Keuutuis und das tiefere Erfasfcu jeuer hervorragenden Meisterstücke der Weltliteratur einem jeden zu vermittclu und zu erleichtern. Es erzählt kurz den Inhalt, bespricht den Dichter und das Gedicht für sich und in seinem Zusammenhang mit der gleichzeitigen Literatur, und knüpft daran die allgemeine ästhetische Beleuchtung. Zugleich hat es der Verfasser meisterhaft verstanden, die wichtigsten nud interessantesten Tcxtesstellcn aus den von ihm gewählten Werken derart einznflechten und durch die Vermitteluden Worte des Erzählers mit einander zu verbinden, daß der Gruudgednuke der Dichtungen dem Leser deutlicher und großartiger zum Bewußtsein kommt, als bei der Lektüre der Werke selbst, wo viel Nebensächliches die Anfinerksamkeit ablenkt, und daß der Leser sowohl deu Gesamteindruck des Kunstproduktes iu sich erklingen fühlt, als auch die spezifische Wirknng des Details empfindet. Die „Perlen der Weltliteratur" lassen daher auch den Besitz der darin vorgeführten, in deu Originalausgaben oft kostspieligen oder schwer zugänglichen Dichterwerke vollkommen entbehrlich erscheinen. So glaubt deun die Berlagshandlnug durch Heransgabe der „Perlen der Weltliteratur" dem ganze» gebildeten Teile des deutschen Publikums eiuen wesentlichen Dienst zu erweisen; denn ein Werk, das den wichtigen Doppelzweck erfüllt, einerseits den Nenling ans die für ihn bequemste, genußreichste und gründlichste Manier in jene Hauptdichtungeu der Weltliteratur einzuführen, andrerseits dem Wissenden Gedächtnislücken, die notwendig im Laufe der Zeit entstehen müssen, auszufüllen und ihn das vorher halb Vcrstandue ganz verstehe» zu lehren — ein solches Werk ist in der deutschen Literatur seither uicht vorhanden gewesen u. s. w.
Eine köstliche Parodie auf die Halbbilduugssenche unsrer Zeit! Nicht wahr? In der That, weuu man diese, etwa in einem Witzblatt, persiflireu wollte, man könnte es nicht gelungner thun, als wie es in dem vorstehend wörtlich abgedruckten Prospekt geschieht, den die Verlagsbuchhandlung von Levy und Müller in Stuttgart kürzlich in die Welt gesandt hat, und dem denn auch bereits sechs Lieferungen der angekündigten „Perlen" nachgefolgt sind. Das ganze Werk wird aus sechzehn Lieferungen (d, 50 Pf.) bestehen, in denen folgende Dichtungen zerpflückt und „ästhetisch beleuchtet" werden sollen (die schöne buute Reihe rührt von der Berlagshandlnug her): Tasso, Das befreite Jerusalem. Shakespeare, Hamlet. Goethe, Hermann und Dorothea. Laube, Graf Essex. H. vou Kleist, Die Hermannsschlacht. Björnstjerne Björnson, König Sigurd. Grillparzcr, Sappho. Mickiewiez, Herr Thaddäus. Aristophaues, Die Vögel. Turgenjew, Puschkin, Lermontoff. Oehlen-