Literatur.
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liebt, er weiß nicht, wie es thut. Er ist höchstens in die Gräfin verliebt, und ich wüßte keinen, der ihm das intrigante angemalte Scheusal streitig machen möchte.
Du schiltst auf meinen Vater, sagte Dorothea vorwurfsvoll.
Ja, das thue ich, denn ich möchte nicht gern, daß etwas in mir platzte! rief Millicent.
Dorothea saß bleich und in sich zusammengesunken da, ihr Blick irrte fast ohne Leben umher.
Schone mich, sagte sie, ich kann nun nichts mehr ertragen. Ich habe meine Kraft überschätzt. Wenn mir jemand einen bestimmten Weg zeigte, den ich notwendig gehen müßte, so könnte ich wohl bis ans Ende kommen, aber so, wie es jetzt ist, schwinden mir die Sinne. Sobald ich mich nach links wende, zieht mich etwas nach rechts, und folge ich hier, so stößt es mich wieder nach der andern Seite. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich dachte, ich könnte alles verlassen, meine Pflicht, meinen Vater, meine Heimat, meine Ehre, aber ich sehe, daß ich es nicht kann. Es ist etwas in mir, was ich noch nicht kannte, und was stärker ist, als ich bin. Ich thue nicht mehr, was ich will.
(Fortsetzung folgt.)
Literatur.
Wiener Neudrucke. Heft 1—S. Wien, Carl Koncgen, 1383.
Den wiederholt in diesen Blättern von uns angezeigten Neudrucken von wichtigen und selten gewordenen Literaturwerken des 18. Jahrhunderts, welche bei den Gebr. Henninger in Heilbronn erscheinen, ist seit kurzem in den „Wiener Neudrucken" ein Unternehmen an die Seite getreten, welches denselben Plan für die gleichzeitige österreichische Literatur zur Ausführung bringen will. Die Redaktion hat auch hier eine der zahlreichen jüngern Kräfte übernommen, die sich seit einiger Zeit in das weite Feld der deutschen Literaturgeschichte methodisch einzuarbeiten begonnen haben, Dr. A. Sauer, derselbe, der vor einigen Jahren zusammen mit I. Minor die dankenswerten Studien über den „Götz von Berlichingeu" und die Jugendlyrik Goethes herausgegeben hat.
Die „Wiener Nendrucke" können selbstverständlich nicht so weite Kreise inter- essiren wie die erwähnte Henningersche Sammlung. Zwar spielt sich die mittelalterliche Blüteperiode unsrer Literatur zum guten Teile auf österreichischem Boden ab. Seit den Zeiten der Reformation aber, noch mehr seit denen der Gegenreformation tritt Österreich in der Geschichte der deutschen Literatur in den Hintergrund. „Die Schranken gegen Norden und Westen — so schildert der Herausgeber in Kürze die nachfolgenden Perioden — wurden höher und stärker, und fast drei Jahrhunderte hindurch wandern wir in der Geschichte des österreichischen Geisteslebens auf einein öden, wüsten Gebiete, nur selten durch eiue fruchtbare Oase erfreut und erquickt. Noch zu der Zeit, als in Deutschland ein neuer Geist erst strebend und ringend, dann stürmend und drängend sich Bahn brach,plagen die österreichischen Gebiete fast in völliger Stagnation, und als in Mitteldeutschland unsre großen Dichter eine zweite glänzendere Blüteperiode deutscher Literatur hervorzauberten, verhielt sich Österreich diesen Erzeugnissen gegenüber durchaus nur rezeptiv. Es hat der langen Reihe deutscher Dichternamen im 18. Jahrhundert keinen auch nur annähernd ebenbürtigen an die Seite zu stellen. . . Nur die Nachdrucke der ausländischen Geistesprodukte überschwemmten massenhaft das Land und ergofseu den