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Was im Kollegium Germanicuin gelehrt wird.
Bellarmin^) vs N^wbr. Neelos. I.. III. o. 21, der diese Lehre mit besondern! Fleiße behandelt.) Folglich u. s. w.
Zweiter Lehrsatz: Zuweilen können Umstände eintreten, unter denen anzunehmen ist, daß die Kirche durch ihre Gesetze oder durch ein einzelnes derselben die Ketzer nicht verpslichtet sehen wolle.
Beweis: Es kann manchmal Umstände geben, unter denen die Ausübung der kirchlichen Gerichtsbarkeit über die Ketzer zerstörend und nicht aufbauend wirken müßte und deshalb sehr schwere Nachteile entstehen würden und, wenn nicht die Gerechtigkeit, doch sicherlich die Nächstenliebe Schaden erleiden würde. Unter diesen Umständen ist aber anzunehmen, daß die Kirche durch ihre Gesetze die Ketzer nicht verpflichten wolle. Folglich u. s. w.
Hieraus folgt, daß, so oft ein Zweifel darüber erhoben wird, ob irgendein Kirchengefetz die Ketzer verpflichte, die Umstände darauf zu prüfeu sind, ob sie wirklich derart sind, daß bei ihrem Vorhandensein anzunehmen ist, die Kirche wolle das Gesetz nicht auf die Ketzer anwenden.
Man lernt aus diesen Sätzen, daß die römische Kirche ebenfalls diskretionäre Gewalten kennt und zwar solche, die weit über das hinausgehen, was von der preußischen Regierung in der Gesetzvorlage von 1380 in Anspruch genommen und von den Klerikalen für etwas ungeheuerliches erklärt wurde. In welchem Sinne die Leitung der Kirche von ihren diskretionäre« Befugnisfen Gebrauch machen wird, je nachdem sie die stärkere ist oder nicht, das zeigt der Ausspruch Kardinal Tarquinis über die Toleranz, mit welchem wir diese Zitate beschließe» wollen. (?iM. S. 67.)
Über die bürgerliche Toleranz verdient ^anusrus "Ib«zol. 8ebo1a>st,. zu Rate gezogen zu werden. In der Kürze kann man folgendes darüber sagen: 1. Daß dieselbe, abgesehen von dem positiven Gesetz, aus zwei Gründen unerlaubt ist, weil es ein Unrecht ist, an der Beschäftigung mit dem Aberglauben der Andersgläubigen sich zu beteiligen, sodann weil es ein Unrecht ist, Katholiken der Gefahr der Verführung auszusetzen. 2. Daß folglich, um die Toleranz zu rechtfertigen, dieselben Bedingungen erforderlich sind, welche zur Rechtfertigung dessen, daß jemand sich an der Sünde eines andern beteilige, sich der Gelegenheit oder der Gefahr zu sündigen aussetze, von den Theologen vorgeschrieben werden. 3. Daß in dieser Sache nichts ohne den Papst zu beschließen ist, erstens, weil es sich um einen sehr gewichtigen, ans den Zustand der Kirche bezüglichen Fall handelt, zweitens, weil die bürgerliche Toleranz durch die Kirchengesetze an sich verboten ist.
Noch über verschiedne andre für Politik, Gesetzgebung und Verwaltung sehr bedeutsame Materien, über das Dispensativnsrecht, das Placet, den i<z- eursus ab avusn, die Konkordate und die römische Interpretation derselben, findet man bei Tarquini Ausführungen, die zwar nicht nen sind, aber als Bestandteile dieser approbirten Lehrbücher nicht so leicht verleugnet werden können
Robert Bellarmin, dessen Oigxutationss äs vontrovorÄis üäoi a.ävsrsns twMS tom- poris tMsrorioas bis heute noch die Fundgrube aller Gegner der Reformation und aller Verfechter der römischen Suprematie smv, war Mitglied der Gesellschaft Jesu, wurde 1S99 Kardinal und starb 1621 nls Prnsekt des Collegium Gcrinanicmn.