400
Die große Aunstausstellnng in Berlin.
Existenz zu verschaffen wußte. Seitdem aber diese zweite Phase in der Münchner Kunst sich wieder verflüchtigt hat und die Münchner Knnst in Genre- und Landschaftsmalerei oder, wie böse Zungen sagen, in Wirtshans- und Touristenmalerei auseinandergeflossen ist, hat München kein Anrecht mehr auf den Vorzug, der Vor- und Hauptort deutscher Kunst zu sein. Besitzt denn aber München keine hervorragenden Porträtmaler? könnte jemand fragen. Ja wohl! einen: Lenbach, aber der ist erst ein bedeutender Bildnismaler geworden, als er sich von Piloty lossagte und die Alte», insbesondre Tizian, Van Dyck und Velas- quez befragte. Und die Münchner Plastik? Ja, wohin die sich seit Wagmüllers Tode verkrochen hat, weiß kein Mensch zu sagen. Wir werden im Sommer den Versuch machen, sie auf der internationalen Kunstausstellung in München ausfindig zu machen. Für heute müssen wir uns mit zwei Porträtbüsten begnügen, welche Professor Noth nach Berlin geschickt hat, der ganz in das Wag- müllersche Fahrwasser hineingesteuert ist, d. h. in jene zwar lebendige, aber malerische Auffassung der Natur, welche schon jetzt die Formenbehandlung des Barockstils adoptirt hat und notwendig, vielleicht sogar mit Umgehung des anmutigen Rocoeo, zum Zopfstile führen muß. Daß die sogenannte deutsche Renaissance, wie sie heute in München in der Architektur, in der Möbeltischlerei und in den übrigen Zweigen des Kuusthaudwerks grassirt, sich ohnehin schon nur noch wenig vom Barockstil unterscheidet, ist eine Thatsache, welche niemand in Abrede stellen kann, der noch Augen zu sehen hat. Georg Hirth, der Herausgeber des populären „Formenschatzes," hat diese Neigung der Münchner Künstler, die sich zum Teil aus historischen, zum Teil aus andern, nicht der Erörterung uuterliegeuden Ursachen erklärt, auch sehr schnell begriffen und deshalb den „Formenschatz der Renaissance" in einen allgemeinen „Formenschatz" umgewandelt, in welchem sich Renaissance, Barock, Rococo nnd Zopf lustig durcheinander tummeln.
München will also nach wie vor der Zentralpunkt der deutscheu Kuust- bestrebuugen bleiben, obwohl es seine historische und sachliche Berechtigung dazu verloren hat. Wenn wir dagegen denselben Maßstab geschichtlicher Beurteilung an Berlin legen, so ergiebt sich, daß diese Stadt an die Stelle Münchens getreten ist nnd treten mußte, weil die preußische Staatsregierung klar erkannte, daß eine Blüte der Kunst nur von einer systematischen Förderung derselbe» durch den Staat zu erwarten ist. Denn der pathetische Satz der Freiheitshelden, daß die echte Kunst nur iu einem freien Staate, in einer Republik gedeihen könne, ist eine leere Redensart, deren Gegenteil viel leichter begründet werden kann. Die römische Republik, Cromwell und seine Puritaner, Danton und Robespierre verhielten sich entweder gleichgiltig und ablehnend gegen die Kunst oder sie rotteten sie radikal ans. Was die französischen Kommunards gegen die Kunst gethan haben, ist noch allen Zeitgenossen in frischer, grauenvoller Erinnerung. Die athenische Republik, welche man immer als rühmliches Bei-