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Pompejanische Spaziergänge. 3. :
(Fortsetzung.)
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Pompejanische Spaziergänge.

freilich eine recht vulgäre Art der Einmischung des wirklichen Lebens in die Göttersage.

Das Alter dieser Malerei wird durch ihren Charakter klar bezeichnet: ganz gewiß haben wir hier die alexandrinische Kunst vor Augen. Ist es aber sicher, daß diese Kunst in den Fresken von Pompeji getreu wiedergegeben ist? und wie weit können wir sie nach ihnen beurteilen? Es ergiebt sich bereits aus dem Studium der eigentümlichen Bedingungen der pompejanischen Malerei, daß es zwischen dem Original und den Kopien unvermeidliche Unterschiede ge­geben haben muß. Die pompejanischen Häuser sind in der Regel klein; der Raum, den der Architekt dem Maler zur Verfügung stellte, war selten von großer Ausdehnung und gestattete kaum, was die GriechenMegalographie" nannten. In den bildenden Künsten ist aber die Größe von hoher Bedeutung; oft wird ein großer Stoff, wenn er in einen allzu engen Rahmen eingeschlossen wird, zu einem Genrebild. Dies ist der Fall in Pompeji, wo die Fresken meist nur Verkleinerungen von reicheren und umfassenderen Kompositionen sind. Dazu kommt, daß, wenn uns diese Fresken nicht gerade den Eindruck großer Mannichfaltigkeit machen, die Schuld nicht gänzlich der alexcmdriuischen Schule, aus der sie stammen, zuzuschreiben ist. Unter den unzähligen Stoffen, welche diese Schule den pompejanischen Künstlern lieferte, mußten sie notwendig eine Auswahl treffen. Da nahmen sie denn am liebsten lachende und heitre Szenen und flohen diejenigen, die ihnen allzu traurig schienen.Ein leidenschaftliches Gemälde, sagte schon Seneca, stürzt die Seele in Unruhe."*) Diese braven Bürger wollten in dem glückseligen Lande, am Fuße der grünen Abhänge des Vesuvs, vergnügt leben; es wäre ihnen durchaus nicht damit gedient gewesen, hätte man ihnen alle Gräucl der autiken Mythologie vor Augen gestellt. Die Verbrechen der Familie Agamemnons, das Ende des Hippvlytos, der von den Dornen am Wege zerrissen wurde, hatten zu berühmten Gemälden alexandri- nischer Maler den Stoff gegeben. In Pompeji finden wir sie nicht wieder. In diesen für die stillen Freuden der Familie bestimmten Räumen waren sie nicht am Platze. Wenn sich die pompejanischen Künstler einmal an die Dar­stellung einer minder anmutigen Szene wagen, so modifiziren sie dieselbe in der Regel. Die an den wütenden Stier gefesselte Dirke, Aktaeon, von seinen Hunden zerfleischt, sind ihnen nur Vorwände zur Darstellung schöner nackter Frauen oder freundlicher Landschaften. Dies also betrifft die Erfindung und die Wahl der Stoffe; die Ausführung zeigt noch mehr Verschiedenheiten. Wird ein Tafelbild in einem Freskogemälde reproduzirt, so ändert sich damit unvermeidlich sein Charakter. Das Fresko verträgt nicht in gleichem Grade jene Feinheit der Züge, jene Vollendung im einzelnen, welche die Haupteigenschaften der alexandrinischen Meister ausmachten. Übrigens waren es nicht gerade diese

*) Seneca, vo irs, II, 2.