Der Htaatsrat.
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eitdem der Reichskanzler eine neue Wirtschaftspolitik in Angriff genommen hat, und dem deutschen Volke, soweit es sich nicht durch Parteileidenschaft und Parteiumtriebe blenden läßt, dadurch einigermaßen die Augen darüber geöffnet worden sind, daß politische Fragen nur durch ihre Verbindung mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen wahre Bedeutung im Staats- und Volksleben haben, wird man das Auftauchen der Staatsratsfrage nicht bloß als eine akademische Unterhaltung für den Ausbau einer Verfasfungsschablone zu betrachten haben. Für die liberale Bourgeoisie freilich, die bei dem Morgenkaffee einer kleinen Anregung und eines Reizes bedarf, find Verfassungsfragen nichts andres als neue Streit- Punkte zur Austragung konstitutioneller Zweifel, und die Frage des Staatsrats hat sich daher nur vom diesem Gesichtspunkte aus einer mehr oder minder falschen Erörterung in der liberalen Tagespresfe zu erfreuen gehabt. In unsrer schnell- lebigen Zeit verschwindet ein Gedanke ebenso schnell, wie er aufgetaucht ist. Der größere Teil des Volkes ist nicht in der Lage, oder wenn er es ist, so giebt er sich nicht die Mühe, Fragen des Staatsrechts näher zu treten, der Quell seines Wissens ist die Zeitung; soweit ihn diese belehrt, reicht seine Kenntnis, und sie hört auf, wenn das Blatt schweigt. Wir glauben aber, daß die Frage des Staatsrats nicht bloß in die öffentliche Meinung hineingeschleudert worden ist, um wieder aus derselben, wie ein Meteor am Himmel, zu verschwinden. Sie verdient es, daß sie eingehender erörtert und geprüft werde. Denn es handelt sich hierbei nicht bloß um eine» neuen Grad in der Beamtenhierarchie, um die Erfindung einer neuen Titulatur für die Staatshandbücher, sondern um eine Einrichtung, die dem Staatsganzen zu dienen bestimmt ist.
Grenzboten II. 1883. 41