Pompesanische Spaziergänge.
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Weil ich aber eben vom Christentum gesprochen und darauf hingewieseil habe, daß jene noch immer unverminderte Neigung zu dem alten Götterglauben seinen Fortschritten hinderlich sein mußte, so muß hinzugefügt werden, daß das Christentum die Schwere dieses Hindernisses vermindern konnte, wenn es zeigte, was aus der Mythologie geworden war, und weuu es verkündete, sie sei nur noch eine Schule der Unsittlichkeit, Daß es dies nach Kräften gethan hat, kann »ran sich leicht denken. Gelehrte Kritiker haben in unsern Tagen die Kirchenväter der Unwissenheit oder der Verläumdung angeklagt, weil sie über die Liebschaften der Götter spotten und behaupten, alle diese Abenteuer, die man ihnen zuschreibt, seien nur die Verherrlichung der schändlichsten Leidenschaften des Menschen. Sie wenden ein, diese Fabeln hätten einen tiefereil Sinn, schlössen große Wahrheiten ein und seien in Wirklichkeit nur eine allegorische Erklärung der wichtigsteil Naturphänvmene. Dies ist unzweifelhaft richtig, so weit man dabei an die Mythologie der Urzeiten denkt, aber ebenso gewiß ist es, daß die des ersten Jahrhunderts, wenigstens im Geiste der vornehmen Gesellschaft, diesen Charakter nicht mehr besaß. Die Leute, welche sich in ihren Häusern die Liebschaften des Jupiter mit Dcmae oder Ganymedes an die Wand malen ließen, waren leine Weisen, die eine kosmogonische Vorstellung verkörpern wollten: es waren Wollüstlinge, die sich zum Genusse aufzuregen oder mit einem angenehmen Bilde ihr Auge zu erfreuen wünschten. Auch nicht im entferntesten ist hier an eine mythische oder allegorische Absicht zu denken; einzig und allein das menschliche Leben ist hier geschildert, und nichts weiter bezweckt der Maler als die Darstellung von Liebesszenen zum größeren Vergnügen der Liebenden. Es war also uicht möglich, die christlichen Doktoren zu widerlegen, wenn sie die Unsittlichkeit der Mythologie so heftig angriffen, uud diejenigen, welche ihren Schmähungen zuhörten, brauchten bloß ihre Augen zu den Wänden ihrer Häuser zu erheben, um zu erkennen, daß sie im Grunde nicht so Unrecht hatten.
Die übrigen Wandgemälde sind teils Thierdarstellungen und Stillleben, teils Landschaften, teils Genrebilder.^) Diese letzteren sind sehr interessant und leisten uns große Dienste. Sie sind es auch, die wir mit der größten Teilnahme betrachten, wenn wir Pompeji durchwandern. Da sie wirkliche Vorgänge und lebende Personen darstellen, scheinen sie die öde Stadt zu beseelen und ihr die Bewohner wiederzugeben, die sie verloren hat; aber keine dieser verschiedenen Klassen, in die man die pompejanischen Wandgemälde einteilen kann, läßt sich sowohl hinsichtlich des Talentes der Maler als auch hinsichtlich der Zahl der
Die Genrebilder teilt Helbig in zwei Klassen: zuerst komme ii diejenige», in welchen wir eine gewisse Mischung realistischer und idealer Elemente wahrnehmen, z. B. Eros auf der Jagd, Liebesgötter äugelnd oder bei der Weinlese, Frauen bei der Toilette mit kleinen Liebesgöttern, die ihnen dabei helfen, u. s. w.; dann die völlig realistischen Stücke, Szenen aus dem täglichen Leben der Pompejaner ohne den Versuch der Verschönerung. Von diesen letzteren wird bei der Besprechung der Genrebilder vornehmlich die Rede sein.