Zur Lrmnenmg an Ludwig Spohr.
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Spohr aber war konsequent in Worten nnd Handlungen bis zu den kleinsten Beziehungen. Erfreut mußte mau das in einer Zeit bemerken, in der so viele Widersprüche zu Tage traten. Er besaß in hohem Grade das, was man so selten in den Kreisen findet, die sich den schonen Künsten, namentlich der flüchtigen Muse der Töne weihen — Charakterfestigkeit. Ihn durchdrang jene reine uud große Humanität, die, schweigsam in Worten, doch durch das ganze Leben sich bethätigt, jene Freisinnigkeit, die keine Schmeicheleien des Ehrgeizes, der Eitelkeit oder andrer Interessen von der einmal gezogenen Richtschnur des Hcmdelus abzuleiten vermag.
Wir wareu iu einem Konzerte, in dem eine mittelmäßige Sängerin uns mit unaufhörlichen Kadenzen und Trillern, aus deueu nnr selten eine ansprechende Weise auftauchte, beglückte. Spohr saß mit uns in einem entfernten Winkel. Doch waren aller Augen auf ihn gerichtet, nnd als er erst einmal applaudirt hatte, folgte ein Beifallssturm jeder Passage. „Aber sind Sie wirklich entzückt?" fragte ich ihn leise. „Nein, indeß thut die Ärmste ihr möglichstes, nnd sie wäre totgemacht, apvlandirte man ihr nicht." Noch saß ich in stiller Bewundcrnng dieser Gutmütigkeit, als sich ein mit vielen Orden geschmückter Elegant durch die ihm ehrerbietig Platz macheude Menge gegen uns herandrängte. Es war der Kavalier einer in der vordersten Reihe sitzeudeu russischen Fürstin. Eine Flut schöner Redensarten, dnrch das Entzücken, den berühmten Mann zu sehen, hervorgerufen, entströmte seinen Lippen. Spohr erwiederte ernst und kalt mit ruhiger Verbengnng. Nun kam die Hauptsache: die Fürstin wünsche Deutschlands berühmtesten Virtuosen und Komponisten persönlich kennen zu lernen und lasse ihn bitten, sich ihr vorzustellen. Als Spohr diese Ehre seiner unscheinbaren Toilette wegen ablehnte, stiegeil die Fluten unsäglicher Schmeicheleien noch höher, nnd es wnrde versichert, daß seine Herrin sich glücklich schätzen würde, ihn zu empfangen ohne jede Rücksicht auf seine Klei- dnng.
Es war ein fast komischer Anblick, den kleinen, gewandten Höfling sich wie einen Aal schmiegen zn sehen und seine Bemühungen zu beobachten, den abwehrenden Künstler mit seiueu Netzen zu umgarnen. Aber dieser blieb fest. Er hat ohne zwingende Gründe nie einen Entschluß geändert. Andern Tags besuchte er eine ebenso vornehme musikalische Dame, die sehr leidend war und den Wunsch nur zufällig ausgesprocheu hatte, ihn zn sehen. Eine kindische, aus falschem Stolze hervorgehende Mißachtung der Großen der Erde, weil sie eben die Großen sind, lag ihm fern. In Palästen wie Hütten wußte er Menschenwert zn schätzen.
Außerordentliche Geduld bewies Spohr nicht nur der Sängerin gegenüber, deren Konzert er besucht hatte, soudern überhaupt stümperhaften Musikern, die unter manchen vortrefflicheil in dem zahlreich freqnentirtcn Kurorte vielfach auftauchten. Bei der Ankunft in Karlsbad wird jeder Kurgast pflichtschuldigst vom Thurme herab angeblasen und zwar meist mit dem gleichen Marsch, der sich nach unzähliger Wiederholung zuletzt so im Ohre festsetzt, daß man, wenn er auch schweigt, ihu doch immer zu hören meint. Vom frühesten Morgen bis znr späten Nacht töneil hier Geigen, Oboen, Flöten, Harfen u. f. w. Wohin man sich auch wenden mag, auf Felsen und im einsamsten Waldesgrund, im anmutigen Zauberschloß nm rauschenden Tepel, im kleinen Krhstallpalast in tiefstem Waldesdunkel, zur verlassensten Eremitage und in seltenst besuchter Einöde verfolgt oft entsetzlichste Musik den Ruhesucheudeu. Ließ sich nun Meister Spohr irgendwo blicken, so glaubten sämtliche Musikanten ihn dadurch besonders ehren zn müssen, daß sie sofort Jessvnda einen Selmn winden oder Zemire über die Rose entzückt sein ließen oder sonst seine Arien nnd Lieder greulich verstümmelt ableierten. Wir waren