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Zur Erinnerung an Ludwig Spohr.
nicht erloschen ist. Die ihm vorgeschriebene Brunnenkur brauchte er stets mit musterhafter Gewissenhaftigkeit, die Vormittage zu vorschriftsmäßigen Spaziergängen, schöne Nachmittage aber immer zu weitern Ausflügen benutzend.
Über seinen letzten Karlsbader Aufenthalt berichtet nun ziemlich eingehend der Brief einer hochstehenden und hochgebildeten Dame, welche, in vertrautem Verkehr mit Spohr und seiner Gattin lebend, Gelegenheit fand, einen tiefen Blick in das Wesen des edeln Mannes zuthun. Dieses schätzbare Schriftstück, welches in so liebenswürdiger Weise die Erlebnisse der Kurzeit und das Zusammensein mit dem Künstler schildert, mag hier zuerst eine Stelle finden.
Es war im Jahre 1349, als ich das Glück hatte, mit Spohr und seiner Gattin wahrend der Knrzeit in Karlsbad mehrere Wochen fast täglich zusammen zu sein. Spohr liebte diesen Ort ungcmein. Der kräftige Sprudel hob seine kleinen körperlichen Leiden, und der elegisch-romantische Charakter des Tepelthales sympcithisirte mit seinem tiefen Seelenleben. Den ihn oft lästigen Kapellmeistergeschäften enthoben, in ungestörtein Umgang mit seiner Gattin, in dem musikalischen Böhmen wie ein Fürst geehrt, erschloß sich hier mehr wie sonst sein Inneres der Außenwelt.
Und er bedürfte der Erholung in diesem Sommer ganz besonders. Mit größten: Interesse war er der Bewegung des Jahres 1848 gefolgt und hatte alle die Enttäuschungen, die dem deutscheu Volke in dieser verhängnisvollen Zeit bereitet worden waren, schmerzlich empfunden. Er war niedergedrückter davon als tausend andre, die im Vordergründe stehend, vielleicht handelnd mit eingegriffen hatten. Jeder Eindruck grub sich entweder ganz und nachhaltig in sein Sinnen und Denken oder ließ ihn völlig unberührt. Der kleine Staat nun, der ihm zur Heimat geworden, litt unter der damaligen Reaktion mehr als andre deutsche Länder, die zum Teil sogar einige Vorteile aus dem allgemeinen Schiffbruch zu retten vermochten.
Wenige wohl ahnten, was in der Seele des anscheiueud gleichgiltig in das politische Leben blickenden Meisters vorging. Man konnte wähnen, daß er, gleich Goethe nur mit künstlerischen Interessen beschäftigt, sich nnr wenig um die Zeitfragen, die das ganze Vaterland bewegten, bekümmere. Wie sehr er aber davon erfüllt war, wurde mir zufällig kund. Ich verhandelte mit seiner Frau die kritische Frage, inwieweit ein Künstler sich ohne Nachteil für sein Schaffen in Politik vertiefen dürfe? An einer uus bekannten Persönlichkeit versuchten wir zu beweisen, daß es namentlich für einen Musiker bedenklich sei, sich aus dem freien Äther idealen Denkens in das chaotische Wirrsal Politischer Verhältnisse herabziehen zu lassen. Wohl müßten die allgemeinen Ideen der Freiheit und Humanität seine Seele durchglühen, aber die oft mißglückten Versuche, sie im Leben zu verwirkliche», ihm im Interesse seiuer Kunst fernbleiben.
Der Meister hatte uns lange schweigend, anscheinend teilnahmlos zugehört. „Aber kann sich irgend ein Mensch dem entziehen?" fragte er plötzlich, und nun erinnerte ich mich erst, daß er die neuesten Tagesblätter stets mit lebhaftestem Interesse studirte, daß einige der bedeutendsten Repräsentanten aus dem Zentrum des Frankfurter Parlaments sich ihm als Gesinnungsgenossen angeschlossen hatten. Nun wurde mir klar, daß nicht allein der Künstlerstolz ihn nie ein Knie vor den Großen der Erde beugen ließ, sondern der unerschütterliche Grundsatz, der in jeder freien Verfassung liegt. „Nur persönlicher Wert kann die Achtung bedingen, die man einem Menschen zu erzeigen hat."