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Lyrische Dichtungen und Dichter.
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Lyrische Dichtungen und Dichter.

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Poet, dem in der Musen heil'gcm Tempel

Das.Haupt der Kranz des höchsten Ruhmes schmückt;

Deß Werk, ein hohes, herrliches Exempel

In Ewigkeit wird strahlen unoerrückt u. s. w.

so sind wir in der That nn Biedermcyer und Genossen gemahnt.

Selbständiger in der Empfindung, durchgebildet in der Form, zu poetischen Individualitäten gereift, treten zwei Lyriker vor uns, deren Namen sich schon guten Klanges erfreuen: Heinrich Zeise und Ernst Scherenberg. Die Dichtuugcu des ältern von ihnen Aus meiner Liedermappe von Heinrich Zeise (Hannvver, Arnold Weichelt) erscheinen als zweite vermehrte Auflage und mögen zum größern Teil in frühere Tage zurückreichen. Sie bewähren, daß der Dichter von seiner Muse durch das Leben begleitet worden ist, die meisten seiner neueren Liedweisen quellen so frisch, warm und ungekünstelt hervor wie die besten der älteren Gedichte Zeises. Man kann kaum sagen, daß in dieser Sammlung von Liedern und Gelegenheitsgedichten im besten Sinne einzelne besonders hervorragen. Die Eigenart des Dichters bringt es mit sich, daß er mich seine innersten Empfindungen, seiue eigensten Erlebnisse in eine lyrische Form kleidet, welche zur Allgemeinheit spricht. Vurns, Beranger, die mit Unrecht ver­gessenen deutschen geselligen Lyriker vom Ende des vorigen Jahrhunderts haben ihn hierin beeinflußt. Und man kann nicht leugnen, daß Zeises Wald- und Wanderlieder, seine kernhasten Trvstsprüche im Wechsel des Lebens, seine genuß­frohen Trinklieder und zahlreichen Liebesgesänge auf jeden Leser kräftig und unmittelbar wirken. Es ist Mark und Gesundheit, Gefühl für alle Schönheit des Lebens, männlicher Ernst und ein feiner, an der Natur genährter Sinn in ihnen, die Verse des Lyrikers meist tadellvs und oft einschmeichelnd und voll Wohllautes. Gleichwohl macht sich ein gewisses Gefühl der Ermüdung beim Lesen so zahlreicher fast gleichartiger und völlig gleichwertiger Gedichte geltend. Zeise sinkt unter die Durchschnittslinie des Empfiudnngsgehnlts und Ausdrucks seiner Lieder selten herab, aber er erhebt sich beinahe nie über dieselbe. Keine Weise, die uns ins tiefste Herz hineinklänge, kein Bild, das immer wieder vor uns stünde, kein Gedicht, das sich der Erinnerung unvergeßlich einprägte! Daran mag auch der Zufall seinen Anteil haben immerhin aber würde es uns nicht leicht fallen, sollten wir aus den guten Gedichten dieser Liedermappe ein Dutzend der vortrefflichsten herausheben.

Zeigt sich Zeise im ganzen als eine lebensfrohe und harmlose Dichternatur (nur durch die letzten Gedichte seines Bandes geht ein Hauch des Schmerzes und einer herben Resignation), so stellt sich Ernst Scherenberg auch in seinen Neuen Gedichten (Leipzig, Ernst Keil) vorwiegend elegisch, jedenfalls tief ernst gestimmt dar. Der Grundton des ersten Gedichts:

Gern vergaß ich, was ich litt, Neuem Lcnzcsgruß zu lauschen