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Die journalistische Kunstkritik.
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Die journalistische Knnstkntik,

eines solchen Menschen kann der Spiegel sein, aus dem das wahre Wesen der Welt und der menschlichen Natur zurückstrahlt, nur ein solches Gemüt kann seinen Schöpfungen den idealen Glanz verleihen, in dem die Dinge, abgelöst von dem wirklichen Leben und seinen Kämpfen nnd Leidenschaften, erscheinen, wie sie sind, aber ohne die Knnst selbst in den Kampf des Lebens hineinzuziehen. Diese abgeklärte Auffassung der Dinge kann sich nur in einem Geiste vollziehen, der den Kampf des Lebens in sich überwunden hat und den wechselnden Tages­fragen, wenigstens als Künstler, unintcressirt, nur beobachtend gegenübersteht. Ein Künstler, der zugleich Demagog und Politiker ist, kann jene Höhe des Standpunktes nicht erreichen, sei er auch uoch so genial. Die Kunst kennt keine politischen und sozialen Interessen. Letztere erzeugen Parteien, Partei macht intolerant, der Intolerante ist das gerade Gegenteil vom Menschheitsideal im humanistischen Sinne, denn Intoleranz führt znr Lieblosigkeit, wie Lieblosigkeit und egoistische Rechthaberei denn auch eiu hervorragender Zug, vielleicht der allerhervorragendste iu allen Äußerungen ans dem künstlerischen Leben unsrer Zeit sind, mögen diese nun von Künstlern oder Kritikern herrühren. Diesem Übelstande sollte entgegengearbeitet werden, und niemand könnte das besser als die Kritiker, die tagtäglich in den Journalen über Kunst schreiben. Ankuüpfungs- punkte sind überall vorhanden. Wie es aber wieder zu einem allgemeinen Menschheitsidcale kommen soll, wenn man auch das größte Genie in seinen darauf bezüglichen Bestrebungen immer nur mit kleinlicher Streiterei um etwas mehr oder weniger schöne Musik und sonstige Detailsachen zu bearbeiten bestrebt bleibt, scheint ein unlösbares Problem. Wenn die Künstler es trotzdem durch Beharrlichkeit und Talent allmählich dahin bringen, so wäre das ja ein großes Glück; bei der Macht der Tagespresfe aber kann es auch leicht dahin kommen, daß die Kurzsichtigkeit der Kritik den Künstler, der doch auch von denselben Lebensbedingungen abhängig ist wie jeder andre, so herunterdrückt, daß wir auch allmählich dem Standpunkte des Verfalls zusteuern, auf dem die einst so hoch stehenden Italiener jetzt angelangt sind. Schuld daran wäre einzig und allein die Liebedienerei gegen das Publikum und die Anforderungen einer idealitüts- losen Kritik, die das Gefallen des Publikums zum obersten Erfordernis für den Künstler erhebt. Das WortEs soll der Sänger mit dem König gehen" sollte man jetzt so variiren:Es muß die Kritik mit dem Sänger gehen," d. h. sie muß die Ideale der Kunst gegen die Willkür des Publikums verteidigen, denn nur dann kann sie nützen, wenn sie den wahrhaften, den berufeueu Künstler stützt und das Publikum in diesem Sinne zu belehren sucht. Dann giebt es auch erst wieder einen Boden für Kritik, der jetzt ganz fehlt, und das Ringen nach neuen Idealen wird nicht vergebens sein. Die Kritik braucht dabei nicht zu fürchten, daß die strebsame Mittelmäßigkeit in der Kunst als Belohnung für ihren guten Willen zur Herrschaft gelange, denn die aller Mittelmäßigkeit eigen­tümliche Langweiligkeit ist eine so sicher wirkende Todesursache, daß es ganz