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Zwei Shakespeare-Essays.
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Zwei Shakespeare-Lssays.

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Vorstelln ngen über den Zusammenhang der dargestellten Begebenheiten den herbsten Tadel verdienen," wenn nicht auch hierin eine tiefere Bedeutung zu finden wäre. Weil er an die Berechtigung eines solchen Tadels nicht glauben mag, wird er nur umsomehr iu dem Glauben an die Richtigkeit seiner Ansicht bestärkt, Shake­speare habe imWintermürchen" mit bewußter Absicht shmbolisirt.

Wenn Boas Recht hat, dann ist die Deutung desWintermärchens'' folgende. Sicilien repräsentirt das Land und die Heimat der alten griechisch-römischen, Böhmendie ursprüngliche Heimat der germanischen Welt," die drei ersten Akte zeigen uns den allmählichen Verfall der antiken Kultur, densechzehn Jahren" des Zeit-Chorus hat man zwei Nullen anzuhängen; im vierten Akt finden wir uns in einer frisch emporblühenden, lebenskräftigen, fröhlich-heitern Naturwelt,die, indem sie sich znr vollsten Blüte zu entfalten strebt, doch in sich selbst ein ganzes Genügen nicht mehr findet und jenes nur dadurch vermag daß sie die überbliebnen (sie) Reste jener alten, längst zn Grabe getragnen Kulturwclt in sich aufnimmt" (Perdita); im fünften endlich wohnen wir dem Wiederaufleben einer neuen Kulturepoche" bei,deren Wesen auf der innigen Verschmelzung edler Geistesbildung mit einem reinen Natursinne beruht." Der Gedanke wird bis ins Detail verfolgt. Hermioue (der Erklärer erinnert daran, daß die Tochter der Helena diesen Namen.trage) ist das Kind der Schönheit: die Kunst. (Freilich übersieht er, wenn er ausführt, daßdie Kunst allein auch einem Steine Leben zu verleihen vermag," wie sehr sein Vergleich hinkt. Denn erstens ist Hcrmione kein Stein und zweitens macht sie im Drama nicht, sondern sie wird, scheinbar wenigstens, selbst lebendig.) In der Ehe der Hermione mit Leontes liegt das enge Bündnis der Kunst mit dem Leben der Antike, zugleich aber auch die drohende Gefahr der Verfeinerung und Hyperkultur. Der unverdorbene Natursinn (Polyxeues) steht der Kunst zwar nicht fremd gegenüber, aber eine innigere Verbindung wie jene gehen sie nicht ein. Endlich trennen sich mit dem Bruch der Freunde Natur und Bildung, und mit jener verläßt in der Person des Camillo die Treue und Redlichkeit die alte Stätte, auf der für sie kein Platz mehr ist. Jetzt nimmt die Entartung überHand, die Willkür, der Despotismus herrscht, jede leiseste Stimme der Natur ist versiegt, und damit auch die Zeit für die echte Kunst dahin. Die Anrufung des Apollo erhält erhöhte Bedeutung: die Kunst fleht den Gott nm Beistand an, unter dessen unmittelbarem Schutze sie steht. Der Tod des zarten, altklugen Mcimilius (dem u. n. der etwas komische Vorwurf gemacht wird, er vermöge die der Mutter angethane Schande nichtmännlichen Sinnes zu ertragen" dies Kind!) bezeichnet den völligen Znsammenbruch der alten Welt. Auf den Unterschied der Schilderung Böhmens (bez. Germaniens) vor und nach dem Chorus glaubt Boas Gewicht legen zu müssen, in der letzten Szene des dritten Aktes ist es eine wilde, wüste Gegend, worin der Sturm wütet und die Bären sich tummeln, im vierten das schöne Böhmen, die Stätte einer mit