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Zwei Shakespeare - Lssays.
gefeiert habe» werde. Das ist der letzte Trumpf! Hamlet ist der Sendbote des Reformationsgedankens! Verlohnt es sich im Ernste, hierauf und auf jeue Expektoration über das Stück hinaus naher einzugehen? Mann kann die Leichenrede des Horatio auf sich beruhen und sich mit seinem kurzen, ergreifenden Nachruf mehr als vollauf genüge» lassen: „Da bricht ein edles Herz. Gute Nacht, mein Fürst! Und Engelschciaren singen dich zur Ruh!" Ein Kunstwerk ist, uui Schillers Wort zu wiederholen, wenn auch nur in ll^potluzsi, „ein in sich selbst organisirtes Ganze." Es hat in sich selbst Anfang nnd Ende. Wer seine» Rahmen durchbrechen und seiue Handlung wie ein Wirkliches weiterspinneu will, der verwechselt das Leben mit der Kunst, die Realität mit ihrem geläuterten Idealbild. Was der Dichter begonnen, hat er im Kunstwerk selbst auch zu enden. Unterläßt er es, so fehlt er. Darüber hinaus giebt es für das ästhetische Empfinden nichts. Und damit genug von der bei aller Gewissenhaftigkeit uud Noblesse der Deukart lind des Empfindens so völlig mißratenen Schrift. Freilich: mit diesen schätzbaren Eigeuschaften allein löst man kein künstlerisches Problem.
Die kleine Schrift von Boas verfährt ungleich einfacher und radikaler als die von Besser. Ihr Autor bohrt sich nicht in die Schachte des Dramas ein, um sich wider Willen in ihnen zu verfangen, er schwingt sich phantasievoll über sie hinweg nnd schafft sich in den Lüsten sein ideales Wolkenkukuksheim. Es soll nicht geleugnet werden, daß dies mit Geschick geschieht, das Schlimme ist nur, daß mau auf den Spuren von Boas sicher dazu gelangen würde, auf den äußern Konnex einer dramatischen Handlung mit Gemütsruhe zu verzichte», wen» sich nur die einzelnen Teile in eine Gedaulenverbinduug bringen lassen. Das äußerlich Ungereimteste und Widerspruchsvollste dürfte ertragen werden, wenn es sich nur als das Symbol einer Idee darstellte. Daß diese aus der Handlung selbst sofort erkeuubar hiudurchlcuchten müsse, verlaugt der Erklärer augenscheinlich nicht, es genügt ihm, wenn sie sich künstlich aus ihr entwickeln läßt, und es bedeutet ihm nichts, daß wir auf diese Weise, je nachdem wir die dramatische Handlung als solche oder die aus ihr abgelöste Idee betrachten, die Wahl zwischen einem Körper ohne Seele und einer Seele ohne einen passenden Körper haben. Es sei hier gleich vorangeschickt, daß Boas das „Wintermärchen," wenn ma» ihm seinen symbolischen Charakter nicht zugestehe» will, für zusamineuhaugslvs in den äußern Teilen und die Szene des sogenannten „Wiedererwachens" der Hermivne für dramatisch überflüssig hält, daß ihm (wir uns) das Spiel, das diese i» der erwähnten Szene mit dem Gatten treibt, ohne symbolische Deutung verletzend und dem menschlich-natürlichen Gefühl zuwider erscheint, kurz, daß ihm das Drama, lediglich als solches betrachtet, an einem Komplex von Widersprüchen und psychologischen Unmöglichkeiten krankt. Selbst die Nennnng des Giulio Romano als des Schöpfers der Statue (ein ziemlich bedeutungsloser Anachronismus) würde nach Boas' Meinung „wegen der dadurch hervorgerufenen Verwirrung und Unklarheit aller