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Zwei Shakespeare-Essays.
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Zwei Shakespeare-Essays.

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die sie in ihm wiederfinde» wollen und (wenn sie nicht gegen ihr eignes Fleisch wüten wollen) wiederfinden müssen, und sehen um dieser Konstruktion willen das allernächstliegende nicht. Der eine stellt eine These auf, die er mit einer fast unbegreiflichen Verlcnnung der dramatischen Thatsachen durch alle Szenen und Charaktere des Stückes verficht, der andre läßt das Drama selbst gleichsam alszur Statnc entgeistert" unter sich liegen und sucht über seiner Stosfwelt den dichterischen Gedanken auf. Was die Gestalten Shakespeares stich und thun, ist ihm nichts gegen das, was sie bedeuten.

Der Hamlet-Interpret beginnt mit einem maßvollen Angriff gegen alle diejenigen, welche die Ansicht vertreten, die dem Hamlet übertragene Mission sei entweder überhaupt oder doch aus individuellen Gründen unlösbar, nnd- sonnirt wie folgt:Wie sollte auch von allem andern ganz abgesehen der Dichter so gransam gewesen sein, dem Helden seines Dramas eine ihrer Natnr nach nnmögliche Leistung aufzuerlegen? Wie wäre ihm vollends der wahrhaft tückische Hohn, ja die augenscheinliche Selbstvcrhöhnung zuzutrauen, einem von ihm als sür die Aufgabe untauglich gedachten Hamlet dennoch schließ­lich die Tötung des Claudius zu übertragen, zumal sich ihm in dem von letzterem zur Meuchelung des Prinzen verführten Laertes ein andrer, jenes Falles geeigneter Vollstrecker der That völlig uugesncht darbot?" Welch ein Standpunkt! Und wie geht aus diesen Worten die subjektive Befcmgcnheit und Willkür des Erklärers, die er sogar dem Dichter imputiren möchte, bis zur Ver­blüffung deutlich hervor! Was läge denn in aller Welt für eine Grausamkeit des Dichters darin, wenn er das tragische Mißverhältnis zwischen Kraft und Last, das uns das Leben, selbst in seinen alltäglichsten Erscheinungsformen, fast stündlich vor Augen führt, in einem Typns künstlerisch erschütternd verkörperte? Und wie versperrt sich der Erklärer selbst die Wege zur Erkenntnis, wenn er aus diesem geradezu lächerlich philanthropischen Grunde (aus Rücksichten der Billigkeit gegen eine dichterische Figur!) die Richtigkeit der bekämpften Deutung von vornherein für ausgeschlossen hält! Wie kann der Dichter überhaupt grausam gegen seine Geschöpfe sein! Und was will der den Lavrtes betreffende Passus? Schon die bloße Möglichkeit, dieser könne, wenn es zur Entscheidung kommt, statt des Hamlet den tätlichen Streich gegen den König führen, zerreißt das Gewebe der Handlung. Wenn es nur gälte, einem Meuchelmörder das Schwert in den Leib zu bohren, wenn in der Vollziehung der äußern Justiz das A und O des Dramas läge, dann dürfte man mit demselben Rechte fragen: Wenn Lavrtes warum nicht auch Horatio, oder Osrick oder irgend jemand von den Höflingen? Dies Erwägen von Möglichkeiten ist ebenso müßig wie uMnstlerisch und beweist nur, daß der Erklärer nicht imstande ist. dem Drama von seinen Voraussetzungen aus nahezukommen. Daß, so oder so, das Eingreifen des Lasrtes eine Albernheit wäre, braucht dabei garnicht einmal besonders betont zu werden. Die Bemerkung ist anscheinend gleichgiltiger Natur,