556
Friedrich Spielhagen und sein Ich-Roman.
Dieselbe Wahrnehmung machte man in den spätern Romanen Spielhagens, wo er, durch den Erfolg bei der Menge kühn gemacht, freilich mehr und mehr aufhörte zu zweifeln und sich zu wundern und dafür anfing, den eignen Gedankenschleim für den Nährbrei der Welt zu halten, aber doch nicht imstande war, sich zu einer einheitlichen Weltanschauung hindurchzuringen. Dies trat besonders i» dem Roman „In Reih' uud Glied" hervor, wo er es wagte, einen Mann zu schildern, der von ihm schon aus dem einfachen Grunde nicht erfaßt werden konnte, weil er au geistiger Bedeutung über dem Darsteller stand, und wo er Verhältnisse nnd Zustände der wirtschaftlichen Entwicklung anschaulich machen wollte, welche jenseits seines Horizontes lagen.
Man konnte aus diesem Roman wieder rückwärts schließen: Wenn Spielhagen nicht einmal die Zustände des realen Lebens seines eignen Volkes in einer logischen Weise, sei es selbst in falscher Richtung, aufzufassen imstande ist, wie will er dann an die höchsten Probleme auf jener Grenze sich wagen, wo die Realität des Menschenlebens überhaupt sich mit dem Gebiete göttlicher Vorsehung berührt? Und so wurde man mit Bedauern bei dieser vielfach liebenswürdigen Dichternatur an die harten Worte Schopenhauers erinnert: „Da wird nach homöopathischer Methode das schwache Minimum eines Gedankens mit 50 Seiten Wortschwall diluirt, und nun, mit grenzenlosem Zutrauen zur wahrhaft deutschen Geduld des Lesers, ganz gelassen, Seite nach Seite, so fortge- trcitscht. Vergeblich hofft der zu dieser Lectüre verurtheilte Kopf auf eigentliche, solide und substantielle Gedanken, schmachtet, ja, er fchmachtet nach irgend einem Gedanken, wie der Reisende in der arabischen Wüste nach Wasser — und muß verschmachten." Schopenhauer spricht hier allerdings vom Philosophen, aber soll nicht auch der Dichter so ein bischen Philosoph sein? Soll nicht auch im Roman wenigstens so ein bischen zu denken gegeben werden? Wir meinen, er sollte die Eigenschaften des Philosophen erst recht besitzen, da er die Bilder des Lebens doch wohl nicht bloß Photographiren soll. Und Spielhagen will auch deukeu. Wir erinnern uns neben andern seiner Denkanläufe einer Stelle aus den „Problematischen," wo die beiden Helden den alten bekannten Satz über die Verachtnng erwägen: Verachte die Welt ?e. Genannte Helden stolpern über das „Verachte dich selbst" uud fallen beim „Verachte, daß du verachtet wirst" völlig zu Boden. Ja, wenn hier des Dichters Philosophie schon scheitert, dann hat er eben die allereinfachsten und ersten Geisteszüge großer Männer nie bemerkt.
Nun fiel uns dieser Tage ein Aufsatz über den Ich-Roman von Spielhagen, in den Westermannschen Monatsheften, ins Auge, und wir konnten uus bei der Lectüre des Lächelns nicht erwehren. Was zunächst die Einleitung und die Fundamentalsätze der Auseinandersetzung betrifft — geschrieben in jenem modern gewordeneu Stil, der auch Auerbach und neuerdings Gustav Freytag anhaftet und bedenklich an den der?iöoi6usöL ricUeulss gemahnt — so mußten