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Zwei Molwre-Biogmphien,
man diese Frage, wie wir glauben, mit nein beantworten muß, svllcn wir da für alle Zeit auf eine nicht „rein wissenschaftliche," d. h> lesbare Biographie Moliöres Verzicht leisten? So mangelhaft find wir denn doch nicht über ihn unterrichtet. Glaubt Mahrenholtz vielleicht, daß es überhaupt in diesem höchsten Sinne möglich sei, eine Biographie zu schreiben, eine Darstellung, in der für jeden Satz ein quellenmäßiger Beleg angezogen werden kann? Der Biograph, wie jeder Historiker, muß auch in etwas eine poetische, d. h, schöpferische Ader besitzen, die da einzutreten hat, wo es gilt, die feineren Fäden in den Beziehungen zwischen Denken, Wollen und Handeln seines Helden blvßzulegen, und insbesondere, wo sichs um einen Dichter handelt, die geheimen Triebfedern seines Schaffens aufzudecken.
Freilich fehlen nus für Mvliüre gerade diejenigen Zeugnisse, welche am ehesten gestatten, einen Blick in das innere Seeleuleben des Menschen zn werfen. Es ist merkwürdigerweise kein einziger Brief von ihm erhalten. Aber wenn uns auch dieses wichtige Hilfsmittel abgeht, so ist es deshalb doch nicht berechtigt, wenn Mahrenholtz alle Beziehungen, die man zwischen Moliöres Stücken und seinen eignen innern Erlebnissen nachgewiesen hat, auch da, wo sie so deutlich zu Tage liegen, daß er selber wenigstens eine vorhandene Achnlichkeit nicht leugnen kann, ausdrücklich in das Capitel der Mhthenbildnng verweist. Molwres Leben und Molwres Werke sollen wir isolirt von einander betrachten! Welcher Gedanke! Schon Paul Lindau hat in seiner kleinen gehaltvollen Studie über Moliöre, die vielleicht mehr werth ist als seine sämmtlichen Schauspiele zusammengenommen, viel richtiger gesehen, und Lotheißen ist ihm mit Recht im wesentlichen gefolgt. Selbst uuerwiesene Anccdotcn darf man, wie letzterer sehr richtig bemerkt, in einer Biographie nicht übersehen. Sie sind trotz ihrer Unwahrheit oft charakteristischer und geben eine richtigere Anschauung der Verhältnisse als die beglaubigtsten Documente.
Das unerträgliche Hin- und Hcrschwankcn zwischen den verschiedensten Meinungen, da wo nicht mit den dürren Worten einer Urkunde das Thatsächliche überliefert wird, ist keineswegs das Zeichen höherer Kritik, wie Mahrenholtz sich einzubilden scheint. Und was er geschrieben hat, ist trotz des Titels keiue Biographie, sondern nnr einzelne Quellenstudien zu einer solchen. Daß er kein Biograph ist, zeigt er schon äußerlich durch das unangenehme Hervorkehren seiner eignen Person. Er will uus nicht zeigen, was Molivre that und dachte, sondern was er, Mahrenholtz, über ihn erforscht hat, zn welcher Ansicht er sich im einzelnen allenfalls entscheiden möchte. Was interessirt es uns aber, zu erfahren, daß der Verfasser mit seinen Studieu über die Geschichte des Jesuitismus „noch weit vom Ziele entfernt" ist, und daß er über den Jcm- senismus sich nur aus den herkömmlichen Geschichtswerken unterrichtet hat? Was gehen uns seine und seiner Verwandten Herzkrankheiten und ähnliche Dinge an? Ebenso störend aber ist das unmvtivirte n»d gewaltsame Hineinzerren