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Unruh über Bismarck,
als Auge»- und Ohrenzeuge, aber zugleich als liberaler Parteimann, ja es sieht so aus, als vb bei der jetzigen Veröffentlichung der Fragmente viel weniger an die Geschichtschreibung als an die Wahlen des 27. Oetober uud an eine Ncin- waschnng der Fortschrittspartei und andrer Liberalen von gewissen Vorwürfen gedacht worden wäre. Auch ist der Verfasser oft nicht gnt unterrichtet, und ebenso finden sich in seiner Darstellung auffallende Widersprüche. Beides gilt namentlich von dem, was er über Bismarck und dessen Verhältniß zu den Parteien erzählt. Wir sind in der Lage, diese Mängel seiner Darstellung berichtigen und zugleich das eiue uud das andre von dem Mitgetheilten ergänzen zu könne», und wir unterziehen uns dieser Aufgabe, damit der Historiker, an den angeblich oder wirklich gedacht wurde, die Wahrheit ohne Modifikation in die Hand bekomme.
Uuruh berichtet S. 9, daß Bismarck in der Zeit, wo er noch Abgeordneter war, eines Tages ein Gespräch mit ihm mit den Worten geschlossen: „Nun, wissen Sie was, wenn Ihre Partei siegt, so nehmen Sie mich in Schutz, und kommt meine Partei obeu, so werde ich Ihnen denselben Dienst leisten. Schlagen Sie ein." „Sehr gern," habe er geantwortet, und sie hätten beide gelacht. Acht Jahre später habe er, Uuruh, Veranlassung gehabt, Bismarck an diese scherzhafte Abrede zu erinnern und seine Vermittlung in Anspruch zu nehmen, und derselbe habe dann präeise Wort gehalten. Dieses Ccirtell hat wirklich stattgefunden. Doch ist es komischerweise in ganz ähnlicher Art dem Abgeordneten aus Schönhansen auch von dem radiealen Herrn d'Ester angeboten worden. Hier aber wurde der Vertrag abgelehnt; „denn," sagte Bismarck, „wenn Ihre Partei siegt, so ist es nicht mehr werth, zn leben, kriegen wir aber die Oberhand, so wird gehenkt; doch Höflichkeit bis zur letzten Galgeusprosse."
Völlig unbegründet ist es, daß die Opposition in den Jahren 1862 bis 1866 nicht gewußt haben soll, daß Bismarck eine energische antiösterrcichischc Politik im Sinne habe. Aus den Unruhscheu Memoiren selbst geht mit größter Deutlichkeit hervor, daß man von dieser Politik unterrichtet war und dem Minister nnr aus Haß gegen ihn, den „Junker," und aus Rechthaberei Opposition machte. S. 11 ff. wird erzählt, daß Unruh bald nach Ausbrnch des österreichisch-französischen Krieges von 1859 im Hotel Rvhal zn Berlin mit Bismarck eine Unterredung hatte, bei der letzterer äußerte, Oesterreich jetzt beistchcn wäre ein politischer Selbstmord Preußens. Er sei von seiner Sympathie für Oesterreich vollständig zurückgekommen. Wenn es uns nicht gelänge, Oesterreich aus dem eigentlichen Deutschland zu entferueu, uud jenes hier die Oberhand behielte, so würden unsre Könige wieder Kurfürsten, Vasallen Oesterreichs. Ueber das Verhalten der einzelnen deutschen Regierungen im Fall einer Krisis, die dazu zwänge, zwischen dein Anschluß an Prenßen und dem an Oesterreich zu wählen, könne kein Zweifel herrschen. Sie würden sich mit Ausnahme einiger Kleinstaaten, die in der Machtsphäre Preußens lägen, sämmtlich mit Oesterreich verbinden.