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Literatur

kennen. Ueber dem an sich gewiß löblichen Bestrebe», die fremden Poesien soviel als möglich dem Genins der deutschen Sprache anzupassen, ist der Uebersetzcr, wie viele vor ihm, nur zu ost in den Fehler verfallen, die Eigenart der Originale bis zur Unkenntlichkeit zn verwischen und an Stelle griechischer Classicität mehr oder weniger verwässerte moderne Alltagslyrik zu gebeu, die zu vermehre» bei der bienen­artigen Geschäftigkeit unsrer einheimischen lyrische» Industrie ein Bedürfniß doch wahrlich nicht vorliegt. Die modernisirende Richtung rächt sich besonders da, wo der Uebcrsetzer es wagt, fragmentarisch überlieferte Stücke aus cigneu Mitteln zu ergänzen, zu Gedichten des Alkman oder Jbykos ganze Strophen hinzuzufügen, ein anakreontischcs Liebchen (S. 27) zn vier Strophen auszudehnen, die wohl im Toue Vietor Scheffels, nicht aber im anakreontischen gehalten sind u, s, w. Sehr wunderlich nehmen sich in Brandes' Reimen die aus Pindar und de» Tragikern verdeutschten Stücke aus, geradezu abgeschmackt das Chorlied aus Antigone S, 44 ff. Besser gelungen, da hier der Unterschied zwischen Antikem nnd Modernein weniger ausgeprägt ist, sind einzelne kleinere erotische Poesien wie S, 55 und 72, am besten wohl dieKlage um Heliodvra" vou Meleagros, Daß die Sammlung in formaler Hinsicht reich an Nachlässigkeiten ist, grammatikalische Sünden, Hiatcn der schlimmsten Art auf der einen, falsche Apostrophirnngen auf der andern Seite zu Dutzenden aufweist, desgleichen Reime wie: flehen verschmähen, hent Leid, Bild füllt, satt Bad, Noth Gott, küssen erschließen ;c, :e,, ist ein Ucbclstand, der bei einer Übertragung der vollendetsten sprachlichen Kunstwerke aller Zeiten doppelt schwer ins Gewicht fällt.

Schwester Carme». Aus dcm Leben einer Herrnhuter Colvnie. Schein und Sein. Von M, Corvus. Leipzig, Bernhard Schlicke. 1382.

Von diesen beiden Erzählungen hat die erste. Schwester Carmen. den Vorzug, auf cigeuartigem Boden zu spielen. Sie gewinnt dadurch nn individuellem Lebeu uud Gepräge. Das stille gleichmäßige Leben nnd Treiben in der Brüdergemeinde ist ebenso tren dargestellt, wie ihre trotz ihrer weitverzweigten Verbindungen mit allen Welttheilen doch in enge Grenzen gebannten Anschauungen. In: übrigen ragen freilich in beiden Erzählungen weder die Charaktere noch ihre Schicksale über das Durchschnittsmaß hinaus; auch die Mittel der Verwicklung und der Lösung sind keine irgendwie ungewöhnlichen. Aber die Verfasserin (denn eine solche haben wir wohl zu vermuthen) weiß angenehm und fesselnd zu erzählen, so daß die Lectüre jeden befriedigen wird, der gern gute Menschen nach einigen Prüfungen glücklich werden sieht.

Die vevlagshandlung kündigt hierdurch den Lesern an, daß dieGrenzbotcn" in dcm bevorstehenden neuen Jahrgange, mit welchem ste in das fünfte Jahrzehnt ihres Bestehens eintreten, insofern eine (ürweiterung und Bereicherung ihres Inhaltes erfahren werden, als den bisherigen politischen und wissenschaftlichen Theilen derselben sich von setzt an ein rein belletristischer anschließen wird. <Ac sreut sich, zunächst einen Roman von besonders hervorragendem Werth und Interesse in Aussicht stellen zu können, der von Nr. z des neuen Jahrganges an zum Abdrucke gelangen wird:

BaKchen und MprsuArager

von

U. Siemann.

Für die Redaction verantwortlich: Johannes Gruuvw iu Leipzig. Verlag von F. L. Hering in Leipzig. Druck vou Carl Marquart in Reudnitz-Leipzig.