Shakespeare in Frankreich. _331
flamme» oder nach seinem Wunsche beschwichtigen mag. Wohl sind wir nicht selten betroffen, uns so plötzlich von ihm gerührt zu finden, wenn wir aber über den Gcgeustcuid nachdenken, über deu er uns weinen macht, so müssen wir uns gestehen, daß es noch wunderbarer gewesen sein würde, wenn wir diese Thränen nicht vergossen hätten. Nicht minder außerordentlich aber ist, daß dieser selbe Mensch auch über eine ganz entgegengesetzte Art der Erregungen gebietet. Die verschiedensten Arten des Lächerlichen erhalten durch seinen Pinsel ebenso feine und heitere Züge, als die Tugend und das Laster majestätische und furchtbare erhalten. Er zeichnet sich nicht weniger in der Kälte der Reflexion und der Beweisführung als durch das Feuer der Leideuschast aus. Seine Maximen und seine Empfindungeu sind nicht nur den Gegenständen, die er behandelt, aufs genaueste angemessen, sondern er trifft auch durch die Feinheit seiner Urtheile, die ihm ganz eigenthümlich sind, immer das Richtige und den einzigen Punkt, welcher die sich darbietende Schwierigkeit beleuchtet und löst. Dieses letzte Talent ist an einem Manne, ohne die Welterfahrung, ohne die genaue Kenntniß der großen Schauplätze des menschlichen Lebens, die fortgesetzt den Stoff seiner Betrach- wngen bilden, bewundernswerther als alles andre. Mit einem Worte: er scheint die Welt durch eine Art Inspiration gekannt zu haben. Ihm hat schon ein Blick genügt, die Natur zu entschleiern. Man erkeunt, indem man seine Werke liest, daß er nicht minder ein großer Philosoph als ein großer Dichter war."
Nach alledem glaubt La Place seinen Landsleuten rathen zu sollcu, heute nicht das zu verdammen, dem vielleicht eines Tages unsre Enkel schon Beifall zurufen dürften. Er findet, daß wenn Herr v. Voltaire gesagt, das Verdienst dieses Dichters habe das englische Theater zu Grunde gerichtet, er den Begriffen gnnäß gcurtheilt habe, die mau sich in Frankreich von einer guten Tragödie gebildet, »vorüber niemand mehr Recht zu sprechen hatte als er. Die Engländer aber dächten hierüber anders. Nie wird ein Franzose, welchen Grad der Achtung °r sich bei ihnen auch erworben habeu möchte, die Ehrfurcht und Dankbarkeit abzuschwächen vermögen, welche sie Shakespeare schuldig zu sein glanben; daher sie eher der von diesem Schriftsteller an einem andern Orte ausgesprochenen Meinung beipflichten werden, „daß an diesem Dichter selbst noch die Fehler ehrwürdig seien."
Die Uebersetuingeu des La Plaee standen nicht ans der Höhe dieser Anschauungen. Auch wurden sie beide theils mit Beifall, theils mit Widerspruch "ufgenvmmen. Voltaire scheint mit erzwunguer Gleichgiltigkcit, ja mit Vcrcicht- lichleit ans sie herabgesehen zu haben, da er wenigstens öffentlich zunächst keine besondere Notiz davon nahm. Er beschäftigte sich damals mit seiner Leim,«, ^e gewissermaßen eine Umarbeitung der MixoM ist, daher wie diese eine Geister- Erscheinung enthält und schon hierdurch wieder au Shakespeare crmuert. Es ist bekannt, daß diese Erscheinung durch das Gelächter, das sie veranlaßte, das Stück beinahe zu Falle brachte, aber doch stark genug war, die Zuschauer, die Voltaire