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Hermann Lotzes System der Philosophie.
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296 Hermann Totzes System der Philosophie.

trefflichen Mann im Ucberbietcn jedes echten Freihcitsbcdürfnisses bei der nackten empirischen Thatsache eines UrWillens anlanden, der so wollte, wie er wollte, nur weil er wollte, und wohl auch den pythagoreischen Lehrsatz anders ge­schaffen haben würde, wenn der ethische Sinn seiner Schöpfung es anders ver­langt hätte. Der Empirismus des Naturforschers entzieht hier dem ethischen Idealisten die rationalen Grundlagen, wie vorher der ethische Jdealglaube die materiellen Voraussetzungen der Naturwisseuschaft vergeistigt und die Weltthat­sachen in die göttliche Einheit emporgehoben, im Aether des göttlichen Lichts und der göttlichen Liebe geheiligt und verklärt hatte».

Der Mund ist verstummt, dem unsre bescheidene Einrede bessere Belehruug eutlvckeu oder Anlaß geben könnte, in der Darstellung des nun leider nicht mehr zu erwartenden religivusphilosophischen und ethischen Schlußtheiles Bedenken und Fragen zu erledigen. Wir können uns dennoch nicht versagen, der letzten An- deutnng solcher Bedenke» noch wenige andre in dem Sinne folgen zu lasse», um dadurch die Richtungslinie zu bezeichnen, in der nach unsrer Meinung die philo­sophische Gedankenarbeit der nächsten Zukunft ergänzend und weiterführend sich der Lvtzischen Anschaunngswclt anzuschließen hätte. Wcuu wir am Anfange über die ältere, geistcskräftige und doch oft gar zu geistcsfreie u»d üppige Spe- culativ» unsers Jahrhunderts einigermaßen streng ins Gericht gegaugen, fo bringt uns jetzt der Schluß unsrer Betrachtungen die absichtlich dahin aufgesparte Ge­legenheit, mit erneutem und verstärktem Glauben zn bekennen, daß doch immer und immer wieder jene alten, großen Traditionen deutscher Philosophie in ihrer nachkautischen Entwicklung sich als die Fundgruben darbieten, deren edle Erz- adern, aus den spröden Felsgesteinen herausgeschlagen uud herausgeschmvlzen, den künftigen Geschlechtern die gemünzten Goldschätze einer in sich befriedigten Erkenntniß versprechen. Vor allem ist es Schcllings Name, nicht der des jugendlichen Naturphilosvphe», noch der des greisen Mystikers und Theosvphen, sondern der des reifen Mannes der zehner und zwanziger Jähre des Jahrhun­derts, dessen Gedächtniß wir hier fruchtbar zu machen wünschte». Sind doch auch die jüngsten Philosophien, an welchen unsre Zeitgenossen sich berauscht haben, vermischt zu eiucm Taumel der Weltverachtung, Schopenhauers nnd Hart­manns Lehren, nur Verunstaltungen des Schellingschcn Denkens jener mittlern Jahre; sollte das Echte, Glaubeusvvllc, Versöhnende darin weniger zu wirkeu berechtigt sein als die Verzerrung? Der währe Kern in dem beliebten modernen Pessimismus fehlt bei Schelling keineswegs; ihn einseitig und earikirend hervor­zuziehen, mag man für verdienstvoll halten, so lange mau noch Auschnuunge» gegenübersteht, deren lachende optimistische Beleuchtung und Farbengebuilg die Schatten vermissen läßt, ohne die keine plastische Wahrheit erreichbar ist. Freilich gilt dies auch, wie uus dünkt, in einigem Betracht von der Weltansicht Lvtzes. Ist es denn wahrlich Gott, der ethische, reine Gvtteswille, der in allen Punkten uusers Weltdaseins unmittelbar gcgeuwcirtig wirkt? Der Uebel grauenvolles Heer,