Alfred Meißner.
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In verschärftem Grade wurde die Polemik weitergeführt in dein Roman „Babel." Der Familienroman der beiden Brüder Haldenried wird weitergesponnen, aber eine neue Fabel beginnt. Das durch Heer und Kirche neu geeinigte Reich wird in feiuen weitem großen Krisen vor nnd nach dem italienischen Kriege geschildert. Mit großer Anschaulichkeit und Virtuosität sind die Bilder des Kriegslebens gemalt, die Schlacht bei Magenta, die Verwundeten bei Verona u. s. w. Greifenstcin. den wir aus ..Schwarzgelb" kennen, fällt auf dem Schlachtfelde, wir verlieren in ihm einen Bekannten, den wir lieb gewonnen; dafür lernen wir eine Menge neuer Personen kennen: den Abenteurer.Herrn von Weyher, der fern in der nubischen Wüste den Sieg von Elfhatalma gewonnen, weil seine Uhr stehen geblieben, den leichtsinnigen und verschwenderischen Rosen und den Obersten Chibolitz, der hinter einer eatonischcn Miene Geldgier nnd Habsucht verbirgt. Ein Hauptgewicht ist auf die Stellung der Geistlichkeit zum Staate, zur Familie gelegt, die Concordatsfragen kommen ins Spiel, die Con- fliete, in welche der Priester durch seine Naturtriebe zu den Satzungen seiner Körperschaft geräth. werden mit einschneidender Offenheit bloßgelegt. Im Kapuziner Michael Rndno, der seine Tage damit zubringt, die Namen der Geschichte und des Kalenders anagrammatisch zn versetzen und ihren Sinn und ihre Deutung zu gewinnen, ist — wie Frenzel in einem Essay über ..Babel" sagt — dem Dichter eine Gestalt gelungen, die in ihrer phantastischen Beleuchtnng Rcm- l'randts Alchymisten gleicht. Und fürwahr, die wunderbaren Deutungen des Namens Maria Magdalena zu inAA äama galani — a ine ini ni°rÄ nml.-r — -ulmirtl nmla ÄMnäa — nnM ^.ä^in rößiim — aä arma nri ßÄWö u. f. w. sind von spannendem Interesse.
Und der Name? Der Verfasser hat in seinem Romane selbst einmal den Schlüssel dazu gegeben. Ein Graf Merseuburg hat auf seinen Gütern in Ungarn einen wunderlichen Bau errichtet, eine Ruhmeshalle, in der alle Nationen des Kaiserstaates vertreten sein sollen. Aber die Walhalla ist nur halb fertig geworden. „Gleiches Recht für alle!" war sein Wahrspruch gewesen. Doch als der Graf an die Ausführung seines Lieblingsplancs ging, stellten sich ihm unvorhergesehene Hindernisse in den Weg. Mit der Auswahl der betreffende,, berühmten Persönlichkeit aus den einzelnen Volksstämmen Oesterreichs ging es "icht recht vorwärts. Ja bei manchen fand sich auch nicht eine berühmte Gestalt. So waren nur einige Bildsäulen deutscher, ungarischer, czechischer, polnischer nnd italienischer Celebritäteu zusammengestellt worden, es war ein unvollendetes Werk, ein Torso geblieben. Die Leute nannten den abgebrochnen Bau den Thurm v»n Babel, und in Analogie dazu nannte der Dichter seineu Roman „Babel."
Doch kehren wir endlich wieder zu der Person des Dichters zurück. Nachdem seiu Vater gestorben, mit dem er immer zusammen gelebt und den er in jahrelanger Krankheit treu gepflegt hatte, verließ Meißner im Jahre 1868 Prag; er war es herzlich müde, die hadernden Stimmen der deutschen und der böhmischen