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Sommermärchen.
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1.18

Sominermärchen,

Seite trägt, ist längst geleert. Sehnsüchtig schweifen seine Augen über die wallenden Achrenfelder, aber nirgends ragt ein einladendes Dach über die Flur, nur hie uud da ein Obstbaum und in weiter, bläulicher Ferne die Mauern und Thürme der Stadt, nach der er wandert. Wie die Mittagszeit da ist, denkt er an seine letzte Rast in der Güldnen Rose und nu den kühlen Trunk, der dort aus eichenem Faßgebinde rann. Da seufzt er, drückt sich den Hut in die Stirn, daß der Rand seine sonnengeblendeten Augen beschattet, und schreitet weiter. Als er wieder so weit gegangen, wie eines kräftigen Mannes Stimme reicht, hemmt er erstaunt seinen Fuß, denn dicht vor ihm liegen Häuser, umringt von Baumgärten und überragt von der durchbrochnen Spitze eines Kirchthurms, Der Wandrer reibt sich die Augen.Wie war es möglich, das Dorf zu übersehen?" fragt er sich. Das macht der Sonncuglast, der mich geblendet hat." Er beschleunigt seine Schritte und kommt nun in das märchenhaftestille Dorf." Diese Einführung ist vortrefflich gelungen. Der Leser meint ganz sicher, es handle sich um ein wirkliches Dorf, uud er ist in der Sphäre des Märchens gefangen, ehe er sichs versieht.

So glücklich ist die Verbindung zwischen beiden Sphären freilich nicht immer hergestellt. Ein paarmal greift Baumbach zu dem verbrauchten Motiv des Traums. Aber verbraucht oder nicht wenn der Beginn des Traums gehörig verschleiert ist, wird das Mittel immer seinen Reiz haben. VomGoldbaum" kann man das nicht sagen. Wenn vor zwei Knaben, die an einem heißen Sommertage bei ihren Aufgaben sitzen der eine brütet über dem Cornelius Nepos, der andre zieht Kubikwurzeln aus plötzlich, nachdem ganz natnralistisch geschildert ist, was für Allotria die beiden zwischen der Arbeit treiben, ein grünes Reis aus dem Tiuteufasse emporwächst, bis an die Decke steigt, die Decke schließlich verschwindet nnd die Jungen beide im Walde stehen, so ist das doch, als wenn zwei Farben- streifcn unvermittelt anciuaudcr gesetzt würden. Aehnlich ist es, wenn in dem MärchenSchleierweiß", das abgesehen von der etwas unheimlichen Gestalt des Jägerbnrschen, welcher so wunderbare Treffer thut, ziemlich lange auf ganz realistischem Boden bleibt, plötzlich die Ziege Schleierweiß zu der armen, wegen der zudringlichen Werbung des Jägerbnrschen geängsteten Försterstvchter zn reden aufäugt. Was aber von dem Uebergauge aus der Novelle ins Märchen gilt, das gilt auch von dem Verkehr zwischen den realistischen und den Märchen­figuren untereinander. Hier liegt die Gefahr nahe, daß die Menschen cmfhören zu handeln und zu bloßen Werkzeugen in der Hand der Fabelwesen werden. Baumbach hat auch diese Gefahr in den meisten Fällen glücklich vermieden; in einer Geschichte wieRanunculus" aber erscheinen die beiden Liebenden, der Magister und die Müllerstvchtcr, doch nur als Marionetten in der Hand des Wiescngeistes; ihr Rendezvous ist sein Arrangement.

Eine Schwäche der meisten Kunstmärcheu ist der Mangel einer Pointe. Das echte Volksmärchen hat stets eine Pointe. Im Kunstmärchen läßt sich der