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geschäftlich behandeln wie Panzerreiter, die mit eingelegter Lnnze anfeinander losreiten und unter die Füße treten, was fällt, habe aber keinen besondern Eindruck damit gemacht. Er wies mir aus national-ökonomischen Schriften nach, daß diese Gepflogenheit löblich und gut sei, und es ist nicht zu leugueu, daß er sich bei seiner „wissenschaftlich" begründete» Theorie ausgezeichnet stand.
An seinem fünfundfünfzigstcn Geburtstage bescheerte er sich selbst den Beschluß, aus dem Geschäfte auszutreteu, sich eiue Villa zu bauen nnd ein beschauliches Leben zu führen. Dies geschah. Sein Compagnon Walter übernahm die Fabriken, und das beschauliche Lebe» begann.
Das mußte er sich nuu sagen, daß er sünfunddreißig Jahre lang viel gntes erwiesen habe — natürlich sich selbst, aber auch dem Vaterlande nnd der Menschheit, denn die Industrie ist doch in jedem Falle etwas segensreiches. Indessen war er sich anch jetzt noch dem Gemeinwohl,' schuldig, und so hatte er nichts dagegen, in deu Vorstand des Vogelschutz-, Spar-, Communal- und Bürgervereins gewählt zn werden. Schließlich ward er anch uoch Gemeindekirchenrath, uud m letzterer Eigenschaft kam er gerade zur rechten Zeit, um an der Ausführung des sogenannten Kirchendiseiptinar-Gesetzes theilznnehmen. Ich übergehe den wechselreichen Verlauf der Verhcmdlnugeu und erwähne uur, daß Freund Schanfnß sich schließlich mit der Adresse eines gewissen Engen Brand, Handarbeiter, Enge Gasse 35, drei Treppen in der Hand vor einer ganz fatalen Commission sah. Dieser Brand hatte nämlich ein fünfjähriges nngetcmftes Kind und sollte, wie das Gesetz es vorschreibt, vom Gemeindckircheurathe zur Taufe ermahnt werden.
Man glaubt es gar nicht, wie groß der Unterschied ist, ob man eine Stadt von der Seite der Straßen oder von der Innenseite der Höfe und Hintergebäude aus ansieht. Eine ganz neue Welt thut sich ans, Menschen, Gethier, Existenzen nnd Gerüche, von denen man zuvor keine Ahnnng gehabt. Frennd Schanfnß kam mit seinem Zettel in der Hand gleich zum Willkommen ziemlich weit in diese nene Welt hinein, bis ins Dachgeschoß eines von seinen Nachbarn halb tvdtgcquetschten Hinterhauses. Die Bodenkammer, welche die Wohnung Engen Brands vorstellte, hatte den allergeringsten Raum uud das allerdürftigste Geräth; trotzdem war eiue große Familie, Groß und Klein durcheinander, hineingepackt. Die Fran wnsch, die Kinder schnitzten Zahnstocher, und der Mann saß im Fenster und that nichts. Freund Rudolph blieb in der Thür stehen und brachte seinen Spruch vor. Brand sagte nichts, seine Frau alles mögliche, die Kinder sperrten den Mund auf, und an, Ende hatte man nichts dagegen, daß das Kind getauft werde. Warnm auch nicht? Frennd Schanfnß schied mit der Versicherung, daß es nichts koste uud mit der Genugthuung, ein gutes Werk gethan zu haben.
Am nächsten Sonntage ließ sich natürlich niemand sehen, weder Vater, noch Mutter, uoch Kind. Schanfnß war sehr entrüstet, denn er verstand es nicht, wie man eine eingcgangne Verpflichtung in dieser Weise ignoriren könne. Er beschloß abermals zu deu Leuten zn gehen, uud das war sehr hübsch nnd gewissenhaft von ihm.
Diesmal redete die Frau wenig, der Mann, dessen Odem nach Branntwein roch, desto mehr. Schanfuß fragte ihu, ob er denn sein Kind nicht taufen lassen wolle.
„Ja wohl,'nehmen Sie sie nnr gleich alle mit. Ich will sie Ihnen schenken."
„Lieber Freund, ich rede nicht im Spaß zn Ihnen."
„Ich anch nicht. S'ist inir blutiger Erust. Immer fort damit! Schlachthäuser sollte man einrichten. Es wäre am besten, solche Brüt wie unsereins würde gleich geschlachtet." Die Frau winkte und machte beschwichtigende Zeichen.